60 Jahre nach der Schlacht um Stalingrad
- Meinungen der jungen Generation in Rußland und Deutschland


 
Inhaltsangabe
Natalia Davydova (25),
„Jugendbotschaft” (St.Petersburg, Rußland), Koordinatorin für Westeuropa und
Tutorin für russische Sprache und Kultur der Robert Bosch Stiftung 2002-2003, Kiel
Peter Bickenbach (29),
Jugendgruppe „Druschba” („Freundschaft”) der
„Berliner Freunde der Völker Rußlands e.V." (Berlin, Deutschland)

 

 

60 Jahre nach der Schlacht um Stalingrad
aus der Sicht einer jungen Sankt-Petersburgerin

von Natalia Davydova

Es sind 60 Jahre nach der Schlacht um Stalingrad vergangen. Ist es viel oder wenig Zeit? - Viel, denn eine Generation wechselt die andere und schon können sich die Jugendlichen kaum das vorstellen, was ihre Großeltern erlebt haben. Und wenig Zeit, um diesen grausamen Krieg zu vergessen. Mir blutet das Herz, wenn ich an Millionen im Krieg Gefallener denke, wenn ich Veteranen sehe und mit ihnen spreche.

Und dabei empfinde ich (wie auch viele meine Altersgenossen) keinen Haß gegenüber den Deutschen. Ich habe Deutsch in der Schule und an der Universität studiert, war mehrmals in Deutschland, bin auch jetzt noch einige Monate hier. Mich fasziniert dieses Land, die deutsche Sprache und Kultur. Die Deutschen können mir gefallen oder nicht, aber das hängt davon ab, was für Menschen sie sind und nicht weil sie eben Deutsche sind.

Wenn man russische Jugendliche fragt, wie sie sich die Deutschen vorstellen, dann kommen kaum Assoziationen mit dem Krieg, sondern solche Vorstellungen: pünktlich, fleißig, sparsam, treiben viel Sport, zurückhaltend, reiselustig, Biertrinker, „Ordnung über alles” usw. Einiges können russische Jugendliche nicht begreifen, z.B. warum deutsche Frauen ihrem Äußerem so wenig Aufmerksamkeit schenken.

Aber es sind Unterschiede in der Mentalität, die es bei allen Völkern gibt. Junge Russen studieren gerne in Deutschland und Deutsch ist die zweitpopulärste Fremdsprache (nach Englisch) in Rußland.

60 Jahre sind nach der Schlacht um Staliningrad vergangen. Der Krieg ist nicht vergessen und darf nicht vergessen werden. Er ist eine Mahnung für uns und die nächsten Generationen. Und auch eine Lehre. Deswegen freut es mich sehr, daß sich die deutsch-russischen Beziehungen zur Zeit sowohl auf der staatlichen, als auch auf der nichtstaatlichen Ebene gut entwickeln und vertiefen: Mehr als 100 Städtepartnerschaften, reger Jugend- und Kulturaustausch usw. tragen dazu bei, daß unsere Völker einander näher werden. Ich koordiniere deutsch-russische Programme bei der Organisation „Jugendbotschaft” (St.Petersburg, Rußland) und bin sehr überrascht, wie viel im Bereich des deutsch-russischen Jugendaustausches auf Initiative „von unten” gemacht wird. Wichtig ist auch, daß diese Initiative von den Staatsoberhäuptern unterstützt wird.

Ich hoffe sehr, daß die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland in der Zukunft freundschaftlich bleiben, und glaube, daß dabei die Zusammenarbeit zwischen russischen und deutschen Jugendlichen von großer Bedeutung ist, denn gerade sie werden in Zukunft das gegenseitige Verständnis prägen.

Dazu sollen auch die deutsch-russischen Jugendkonferenzen beitragen, die wir zusammen mit unseren deutschen Kollegen in Berlin im Februar 2003 und in St.Petersburg Ende März-Anfang April 2003 durchführen werden, sowie das Jugendfest der russischen Sprache und Kultur in Deutschland (Ende Mai - Anfang Juni 2003) und das Jugendfest der deutschen Sprache und Kultur in Rußland (2004).

Sankt Petersburg, im November 2002 Natalia Davydova (25)
„Jugendbotschaft” (St.Petersburg, Rußland),
Koordinatorin für Westeuropa und
Tutorin für russische Sprache und Kultur
der Robert Bosch Stiftung 2002-2003, Kiel

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Betrachtungen zur Schlacht um Stalingrad 60 Jahre danach
und zur Bedeutung eines deutsch russischen Bündnisses für die Zukunft

von Peter Bickenbach, Berlin

Was sagt uns Stalingrad heute noch, außer der Sinnlosigkeit für beide damals beteiligten Seiten? Dabei müssen wir aufpassen, daß wir den Blick nicht nur auf diese eine Schlacht beschränken, sondern die Gesamtsicht auf den Krieg beachten, und darüber hinaus auf beide Weltkriege.

Es ist eine nüchterne Feststellung, daß durch ein Verhindern des deutsch-russischen Konfliktes vor dem Ersten Weltkrieg die Ausmaße der beiden Kriege zum Vorteil Deutschlands (und Rußlands!) entscheidend verringert worden wären. In beiden Weltkriegen gehörte der deutsch-russische Konflikt in die Strategie der Westmächte, also der Entente im ersten und der Alliierten im Zweiten Weltkrieg. Wäre der deutsch-russische Konflikt bereits im ersten Weltkrieg verhindert worden, wäre das Kräfteverhältnis zum Nachteil der Westmächte ausgewogener gewesen. Die Entente wäre zum Verhandeln gezwungen gewesen, und die deutsche und russische Monarchie wären erhalten geblieben. Dadurch wäre ein Aufkommen des Bolschewismus verhindert worden. Zuerst wurde Lenin zur Destabilisierung des Russischen Reiches vom Deutschen Reich gefördert, so daß die bolschewistische Revolution überhaupt möglich wurde. Dann wurde die Sowjetunion unter Stalins Führung vom US-Imperialismus und dem britischen Empire unterstützt, um Europa zu destabilisieren, dabei sollten sich das Deutsche Reich und die Sowjetzunion gegenseitig vernichten. Stalin und seine Nachfolger waren aber zu klug, um in diese Falle zu tappen. Aber nach 46 Jahren kalten Krieges hatte der US-Imperialismus auch den Untergang der Sowjetunion erreicht, so daß sich heute, wie nach dem Ersten Weltkrieg, wiederum Rußland und Deutschland als Verlierer nun des Zweiten Weltkrieges wiederfinden. Es zeigt sich wiederum, daß eine Konfrotation zwischen Deutschland und Rußland auf die Dauer keinem von beiden nützt, sondern beiden schadet. Ohne diese deutsch-russische Konfrontation wäre der Zweite Weltkrieg vielleicht gänzlich verhindert worden oder hätte wenigstens nicht das spätere Ausmaß angenommen.

Alexander Solschenizyn hat in seinem Buch " Die russische Frage am Ende des 20. Jahrhunderts" auf die verhängnisvolle Entwicklung des deutsch-russischen Verhältnisses, sowie dessen Scheitern durch Frankreichs und Großbritanniens Schüren, ausführlich hingewiesen.

Heute fühlen wir sehr wohl die negativen Früchte dieser Entwicklung. Die politische Formung und Gliederung Europas nach beiden Weltkriegen im 20. Jahrhundert fiel somit einseitig im Interesse des westlichen globalorientierten Imperialismus aus, zuerst für das britische Empire, welches später durch die USA beerbt wurde, und dann bis heute für die weltweite US-Hegemonie. Doch dieses ist keineswegs nur ein politischer Prozeß gewesen, sondern der "american way of life" ist ebenso ein ethisch-kultureller.

Wir wissen heute nur zu gut, daß die Bewahrung unserer Nationalkulturen in Deutschland und Rußland eine politische Antwort auf den Globalisierungsanspruch der "westlichen Wertegemeinschaft" wäre, wie es auch Gennadij Sjuganow in seinem Artikel zur Globalierungsproblematik ausführt. Es liegt für uns auf der Hand, daß die deutsche und russische Kultur und die Mentalitäten der beiden Völker sich bedeutend näher stehen und sich sehr gut ergänzen würden, wogegen es zur Coca-Cola- und Mc-Donalds-"Kultur" keine Gemeinsamkeiten gibt.

Das geistige Erbe deutscher Denker, von den Minnesängern des Mittelalters angefangen, über die Scholastiker, die lutherischen Reformatoren, die protestantischen Pietisten bis zu den Philosophen der Klassik und Romantik, ja bis zu den Gedankengängen der Konservativen Revolution im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verbunden mit dem grüblerisch, wenn auch manchmal mystischen, doch reinherzigen Sehnen und Forschen eines Alexander Puschkin, Fjodor Dostojewski und Leo Tolstoi wäre eine gelungene historisch geistige Allianz gegen die nihilistische Spaßgesellschaft, welche die zuerst wirtschaftliche Globalisierung als geistige Nachbehandlung unter die Völker bringt.

Fjodor Dostojewski, ein Überlebender des sibirischen "Totenhauses" hatte sich, allen persönlichen Leiden zum Trotz, in seinem literarischen Werk zu einer antiwestlichen, slawophilen Grundhaltung durchgerungen. Hundert Jahre später sollte Alexander Solschenizyn eine vergleichbare Entwicklung durchlaufen. Im Nihilismus, im blinden Wüten revolutionärer Kräfte, sah Dostojewski die Gefahr des russischen Untergangs. Es sollte uns heute nicht schwerfallen, zu erblicken, welche Kräfte gegenwärtig am Untergang Rußlands und auch Deutschlands arbeiten.

Wenn wir heute an die Schlacht um Stalingrad denken, können wir feststellen, daß dieses Wort auf russischer Seite nicht den nationalen Pathos erreicht hat wie "Sedan" einst bei uns. Wenn ich mit Vertretern der jungen russischen Generation spreche, auch z.B. über die Ereignisse des zweiten Weltkrieges, stelle ich bei ihnen ruhige Gelassenheit und Sachlichkeit bei dieser Thematik fest und, Gott sei Dank, auch das totale Fehlen von politisch verordneter Korrektheit im Umgang mit ihrer und unserer Geschichte.

Jeder, der heute für das Selbstbestimmungsrecht der Völker steht, auch und gerade im Globalisierungszeitalter, und die politische Selbstbestimmung für unser deutsches Volk nach dem zweiten Weltkrieg endlich sich entwickeln sehen will, der muß sich heute für die Annäherung und freundschaftliche Verbindung mit Rußland in Politik, Wirtschaft und Kultur einsetzen. Nur die Feinde der politischen Selbständigkeit Deutschlands und die Förderer des Globalisierungsimperialismus, der auch Rußland weiter zerschlagen möchte, wie es unter anderen Zbigniew Brzezinski in seinem Buch "Die einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft" fordert, werden ein politisches Zusammengehen Deutschlands mit Rußland bekämpfen.

Berlin, im Dezember 2002 Peter Bickenbach (29)
Jugendgruppe „Druschba” („Freundschaft”) der
„Berliner Freunde der Völker Rußlands e.V."
(Berlin, Deutschland)

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Dieses ist ein Artikel der
Weltnetzzeitschrift „Der Lotse”