Globalisierung  - Ausweg oder Sackgasse?
von Gennadij Sjuganow
(Aus dem Russischen übersetzt von Eberhard Bock)
 
 
Inhaltsangabe
Vorbemerkung
I. An der Weggabelung der Geschichte
1. Zwei Positionen
Was aber sind diese neuen Besonderheiten?
2. Die dreietagige Zivilisation
I. Wallerstein
K. Popper
Z. Brzezinski
J.Attalie
F. Fukujama
3. Das Wesen der Globalisierung
II. Im Schraubstock der imperialistischen Globalisierung
1. „Wird” das Kapital „besser”
2. Neues als vergessenes Altes
Erstes Kennzeichen
Zweites Kennzeichen
Drittes Kennzeichen
Viertes Kennzeichen
Fünftes Kennzeichen
3. Das höchstes Stadium des Imperialismus
III. Die sozialistische Alternative
1. Das Schicksal Rußlands ist das Schicksal der Welt
2. Die neue Kraft
3. Erfahrungen des frühen Sozialismus
4. Wege des Durchbruchs
Nachwort

 

Vorbemerkung

Korrespondent der „Prawda”:
Gennadij Andrejewitsch, warum beschäftigen Sie sich gerade mit theoretischen Untersuchungen zum Problem der Globalisierung?

Gennadij Sjuganow:
Dieses Problem hat aufgehört, ein lediglich theoretisches zu sein, vielmehr ist es zum Gegenstand scharfer Kämpfe um das Überleben der Menschheit geworden. Wenn wir uns in ihm nicht zurechtfinden, werden wir auch nicht den richtigen Weg zur Rettung Rußlands finden können, das sich wieder im Zentrum der Teilung der Welt befindet. Wir, die Kommunisten, wollen Geist, Kraft und Willen jedes ehrlichen Menschen zur Rettung des Vaterlandes wecken. Und diese meine Arbeit ist eine Einladung zur Diskussion, weil jetzt die Theorie, die unserer Bewegung den rechten Weg weisen soll, durch gemeinsame Arbeit geboren wird. Weil ich davon überzeugt bin, bitte ich alle, diese Arbeit durchzulesen und ihre Meinungen dazu zu äußern.

* * *
 Zurück zur Inhaltsangabe

 

I. An der Weggabelung der Geschichte

1. Zwei Positionen

An der Jahrtausendwende tritt die Entwicklung der Menschheit in eine neue Qualität, die das Antlitz der modernen Welt und das ganze System der internationalen Beziehungen wesentlich verändern wird. Diese These ist schon zum Allgemeinplatz in den Überlegungen von Politikern und Ökonomen, Philosophen, Soziologen und anderen Wissenschaftlern der verschiedensten politischen Richtungen und Sympathien geworden. Alle stimmen darin überein, daß die Menschheit eine Periode intensiven Zusammenwachsens und der Bildung weltumspannender ökonomischer, politischer und kultureller Systeme erlebt, die die Rahmen einzelner Staaten sprengen.

Von daher rührt auch der in Gebrauch gekommene Terminus „Globalisierung". Dieses Wort hat auch deswegen weite Verbreitung erfahren, weil es dank seiner Neutralität politisch-ökonomischer Art die widerspruchvollsten, oftmals diametrial entgegengesetzten Deutungen zuläßt. Und derer werden mit jedem Jahr mehr: In der Welt gibt es keine einheitliche Einschätzung des Wesens, der Triebkräfte und der Folgen der Globalisierung. Der Streit, und keineswegs nur der theoretische, wird immer heftiger, weil er die Interessen buchstäblich jedes Bewohners unseres Planeten berührt.

Die Anhänger der Globalisierung sprechen vom Entstehen einer „Konsum-", einer „postindustriellen", einer „Informations-” und dgl. Gesellschaft. Sie begrüßen das Erscheinen einer „neuen Weltordnung", die angeblich der Menschheit bis dahin nie dagewesene Wohlfahrt bringe: Erhöhung des Niveaus und der Qualität des Lebens, neue Arbeitsplätze, breiten und freien Zugang zu Informationen, Verbesserung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Zivilisationen. Das Verwischen jeglicher - staatlicher, nationaler und kultureller - Grenzen auf dem Wege der freien Bewegung von Waren und Menschen, von Kapitalen und Ideen. Das Glätten der sozialen Widersprüche. Schließlich, die Gewährleistng eines allgemeinen Friedens und allgemeiner Sicherheit. Kurzum, die ganze Welt wird unser gemeinsames Haus. Anscheinend Gesamtweltkommunismus, nur auf einer anderen - einer Markt- und Ware-Geld-Grundlage.

Die Gegner der neuen Weltordnung ziehen es vor, von „Mondialismus", von „Weltverschwörung” und sogar vom Eintreffen der apokalyptischen „Herrschaft der Bestien” zu sprechen, in der kein Platz bleibt für den Menschen, für nationale, kulturelle und persönliche Eigenständigkeit desselben, für geistige Ideale. Die Opponenten der Globalisierung werden immer mehr. Sie werden immer aktiver und kämpferischer. Praktisch alle Treffen und Sitzungen der neuen Weltzentren der ökonomischen Herrschaft - des Internationalen Währungsfonds, der Weltbank, der Welthandelsorganisation - werden von Massendemonstrationen und Protesten begleitet. So war es in Seattle, Seoul, Prag, Davos und an vielen anderen Orten.

Die Protestierenden heben hervor, daß die Herrschaft der internationalen Finanzspekulanten die Weltökonomie immer instabiler und ungerechter machen. Es verstärke sich die Ungleichheit zwischen den sozialen Schichten und Klassen. Es vertiefe sich die soziale und ökonomische Kluft zwischen den entwickelten kapitalistischen Ausbeuterländern und den unterdrückten Proletarierländern, denen das Schicksal eines Rohstoffanhängsels und einer Abfallgrube für die „goldene Milliarde” auferlegt sei. „Neue Apartheid” so hat kürzlich der Präsident Brasiliens, Fernando Cardoso, die ökonomische Politik der führenden kapitalistischen Mächte genannt.

Einer der konsequentesten Kritiker einer solchen Globalisierung ist Fidel Castro. Der Führer der kubanischen Revolution hebt hervor, daß hinter diesem Prozeß die Interessen einer kleinen Gruppe und eine Reihe imperialistischer Staaten stehen. Er entlarvt unermüdlich ihr aggressives Wesen, das gegen die Interessen und Wünsche der Völker gerichtet sei.

Die Gegner der Globalisierung sind empört über das Wachsen des politischen Einflusses der multinationalen Konzerne, die ihren Willen ganzen Staaten und Völkern diktieren. Sie beschuldigen die Schöpfer der „neuen Weltordnung” der erbarmungslosen Einmischung in die Angelegenheiten der souveränen Staaten, und das immer öfter in kriegerischer Weise. Indem der Westen zu direkter Aggression gegen „unbotmäßige” Staaten greift und auf der ganzen Welt Konflikte zwischen Völkern und Konfessionen entfacht, hat er dem Wesen der Sache nach einen neuen, „schleichenden” Weltkrieg entfacht, in dem schon Millionen Menschen umgekommen sind.

Wachsende Beunruhigung erweckt der Zustand der Weltwirtschaft, die offenkundig den Interessen des Kapitals zum Opfer gebracht wird. Das vom Westen losgetretene egoistische Jagen nach ungezügeltem Konsum, das immer mehr nichterneuerbare Naturressourcen verschlingt, wird zu unumkehrbaren Veränderungen der Umwelt führen, mit katastrophalen Folgen für die gesamte Menschheit.

In einer nicht weniger tragischen Lage ist auch die „Ökologie des Geistes": Sie erleidet schrecklichen Druck durch die vollständig vom Großkapital monopolisierten, allesdurchdringenden Massenmedien. Sie wird der stumpfsinnigen Attacke einer minderwertigen „Massenkultur” mit ihrem Kult der Gewalt und der Sittenlosigkeit unterworfen. Unter dem Schein einer „freien Zirkulation der Ideen und der Information” wird tatsächlich die Politik des Informations- und Kultur-Imperialismus verwirklicht. Die Manipulation des Bewußtseins und der Gefühle der Menschen, ihrer Interessen und Bedürfnisse, die aufgezwungene Unifizierung der Geisteswelt auf niedrigstem und primitivstem Niveau verwandeln die Menschheit in eine geistlose und den Schöpfern der „neuen Weltordnung” gehorsame Masse.

Somit stellt sich die „Globalisierung” genannte Erscheinung als ein Knäuel von Widersprüchen dar, das immer fester und fester geschnürt wird. Die Menschheit wird in wissenschaftlich-technischer Beziehung immer mächtiger. Aber zugleich wird auch offensichtlich, daß keinerlei Entwicklung der Produktivkräfte an sich die Probleme und Widersprüche der modernen Welt lösen kann. Wie der VII. Parteitag der Kommunisstischen Partei der Russischen Föderation hervorhob, „haben die Siege der Technik, die globale ,Informatisierung', die Unterwerfung der vier Naturelemente, die Welt weder sicherer noch gerechter gemacht".

Unter diesen Bedingungen, angesichts der Herausforderungen und der Bedrohungen des dritten Jahrtausends, ist für Rußland besonders eine effektive, wissenschaftlich begründete Strategie der staatlichen Wiedergeburt notwendig. Einer Strategie, die geeignet ist, die innere Einheit der Nation wiederherzustellen und unsere Bereitschaft zu einem nicht leichtem Kampf. Einer Strategie, die auf klarem Verstehen der Natur jener Kräfte begründet ist, die jetzt die Hauptrichtung der Entwicklung der Menschheit bestimmen. Alles dies zwingt dazu, sich tiefer in das Wesen der Globalisierung hineinzudenken. Zu verstehen, was sich hinter diesen Modeterminus verbirgt, von dem schon so viele Bilder entworfen und wieder verworfen wurden.

Wenn man von der buchstabengemäßen Bedeutung ausgeht, so bedeutet „global” „den Planeten umfassend". Unbestreitbar spiegelt ein solcher Terminus wichtige Züge der gegenwärtigen Prozesse wider. Aber ebenso unbestritten ist, daß er dabei andere im Dunkeln läßt, keineswegs weniger wichtige und wesentliche Seiten der Wirklichkeit. Zum Beispiel führt er soziale Widersprüche auf geographische Widersprüche zurück. Aber wenn die Weltwidersprüche nach den geographischen Koordinaten „Westen-Osten” oder „Norden-Süden” aufgeteilt werden, wird ihr Wesen einerseits wissentlich vereinfacht und andererseits wird ihnen gleichsam ein „ewiger” und alternativloser Charakter verliehen. In methodologischer Beziehung ist eine solche Rückkehr zu den Zeiten des geographischen Determinismus des Montesquieu schwerlich produktiv.

Globalen Charakter besitzen viele Naturprozesse auf der Erde - sie werden vor allem von der Geologie, Geographie, Meteorologie usw. zu studiert. Als sich zeigte, daß eine Reihe gesellschaftlicher Prozesse - technologische, wirtschaftliche, politische und kulturelle - ebenfalls weltweiten Charakter haben, wanten sich ihrer Erforschung vor allem Spezialisten aus den Naturwissenschaften mit deren Methoden zu. Jedoch können die Naturwissenschaften, bei allen ihren unbestrittenen Vorzügen, nicht Wesen und Spezifik gesellschaftlichen Handelns ergründen. Das Maximum, was sie können ist:

Darauf laufen auch zu neun Zehnteln die modernen Zukunftsforschungen hinaus. Zum Beispiel auch diejenigen Berichte des Club of Rome, die zum Beginn der 70er Jahre viel Staub aufgewirbelt haben. Aber darauf, ob die Globalisierung ein objektiver, notwendiger und unvermeidlicher Prozeß sei, welcher Art ihre Triebkräfte, allgemeinen und spezifischen Formen sind, antworten die naturwissenschaftlichen und mathematischen Methoden nicht, und sie können auch auf diese Fragen gar nicht antworten. Das ist einfach nicht ihr Gegenstand.

Wenn man von dem offensichtlichen Fakt der unentwegten Erweiterung der Maßstäbe der menschlichen Tätigkeit ausgeht, wird es schwerlich richtig sein, vom Prozeß der Globalisierung als von einer irgendwie qualitativ neuen Erscheinung im Leben der Gesellschaft zu sprechen. In der Tat fällt ihr Beginn praktisch mit dem Beginn der menschlichen Geschichte zusammen. Das Ansiedeln der Urgeschlechter auf der ganzen Erdkugel, - ist dies nicht einer ihrer ersten Schritte? Welche Errungenschaft der Zivilisation man auch nimmt, - die Nutzung des Feuers, die Zähmung der wilden Tiere, Ackerbau, künstliche Bewässerung, Metallurgie, Erfindung des Rades und des Segels, von den Errungenschaften der industriellen Revolution des XVIII. - XIX. Jahrhunderts gar nicht erst zu sprechen, - jede von ihnen ist durch eine immer größere Beherrschung der Naturkräfte durch den Menschen gekennzeichnet, durch eine Erweiterung der Grenzen seiner Tätigkeit. Das Zeitalter der großen geographischen Entdeckungen leistete einen Beitrag zur Globalisierung, der keineswegs geringer war als die Schaffung des Systems der weltweiten Kommunikationssysteme. Deshalb ist es richtiger „von der gegenwärtigen Etappe der Globalisierung” zu sprechen, die nicht nicht von den vorangegangenen Etappen isoliert betrachtet werden darf.

Die Prozesse der Globalisierung, das heißt der ökonomischen, politischen und kulturellen Integration der Menschheit, haben schon sehr lange begonnen, sie liefen sowohl vor hundert als auch Tausend Jahren. Und sie liefen keineswegs leicht und konfliktlos, sondern äußerst ungleichmäßig, in scharfen sozial-ökonomischen Widersprüchen. Die Globalisierung des 20. Jahrhunderts zeichnet sich gerade durch allergrößte Ungleichmäßigkeit der Entwicklung aus und durch allerhöchste Glut des Kampfes und der Widersprüche. Dies rührt aus einer Reihe ihrer neuen Besonderheiten her, die ihren Stempel auf den Charakter der gegenwärtigen Widersprüche, auf den allgemeinen Hintergrund der Entwicklung aufgedrückt haben.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

Was aber sind diese neuen Besonderheiten?

In technologischer Hinsicht ist die gegenwärtige Etappe der Globalisierung dadurch charakterisiert, daß die extensive Ausdehnung der wirtschaftlichen Tätigkeit der Menschheit auf der Oberfläche der Erdländer praktisch nahezu vollendet ist. Gleichzeitig läuft eine immer entschiedenere Aneignung des Weltozeans und des erdnahen Kosmos. Die vom Menschen geschaffene „Zweite Natur” - die Produktions-, Energie-, Verkehrs-, Kommunikations-, Wohnraum- und dgl. Infrastruktur - wird ihren Maßstäben nach und den in ihr wirkenden Energieströmen nach vergleichbar mit den Räumen und Energien der umgebenden Umwelt - der Geosphäre. Die Verwandlung des vernünftigen Lebens in einen geologischen Faktor und das Entstehen der Noosphäre - diese Voraussicht von W. I. Wernadski wird in unserer Zeit immer erkennbarer verwirklicht.

In ökonomischer Hinsicht verstärkt sich unentwegt die weltweite Arbeitsteilung und die Kooperation sowohl inerhalb der einzelnen Wirtschaftszweige als auch diejenige zwischen ihnen. Die gegenseitigen Produktionsverbindungen und technologischen Ketten überschreiten auf Schritt und Tritt die nationalen Grenzen und sie umstricken den ganzen Erdball. Parallel dazu läuft der Prozeß der Konzentration und der Internationalisierung des Eigentums an Produktionsmitteln. Es entstehen immer mächtigere transnationale Produktionsvereinigungen mit ihren übernationalen Organen der Koordinierung, Regulierung und Leitung. Es entsteht eine globale Wirtschaft als einheitlicher Organismus, in dem alles gegenseitig verbunden ist.

In der politischen Sphäre gehen analoge Prozesse vor sich. Die ökonomische Integration regt an, zu immer engeren zwischenstaatlichen Verbindungen überzugehen, zur Aufhebung von Barrieren auf dem Wege der freien Bewegung von Waren, Kapitalien und Arbeitskräften. Aus einer Phase, in der die internationalen Beziehungen durch zweiseitige und mehrseitige Vereinbarungen und Organisationen reguliert wurden, geht die Welt zu internationalen Vereinigungen einer höheren Stufe der politischen Integration über. Anschauliches Beispiel dafür ist die Integration der Länder Westeuropas in die einheitliche Europäische Union mit besonderen übernationalen politischen Organen.

Schließlich verstärkt sich in der Welt unentwegt das Wechselwirken und die gegenseitige Bereicherung der unterschiedlichen Kulturen. Es entsteht ein einheitliche Weltkulturraum.

Somit unterscheidet sich die gegenwärtige Epoche von den vorangegangnen dadurch, daß die extensiven Formen der Globalisierung sich offenkundig ihrer logischen Vollendung genähert haben. Die Entwicklung „in die Breite” ist praktisch beendet, es bricht die Epoche der Entwicklung „in die Tiefe” an. Die Globalisierung geht in ihre intensive Phase über.

Dies tritt erstens darin in Erscheinung, daß immer breitere und komplexere - globale - Probleme entstehen, deren Lösung sowohl über die Kräfte der einzelnen Staaten als auch ihrer regionalen Vereinigungen geht und gemeinsame Anstrengungen der Menschheit insgesamt erfordert. Das sind die Probleme der Erhaltung der Umwelt, der Versorgung der wachsenden Weltbevölkerung mit Lebensmitteln, des Suchens nach neuen Energiequellen, des Erhaltens des Friedens, des Überlebens der Menschheit im Atomzeitalter usw.

Zweitens leben wir in der Epoche der gigantischen Beschleunigung der weltweiten Integrationsprozesse. Die „Informationsrevolution” ist dabei zum Hauptbeschleuniger geworden. Die Computerisierung hat in geradezu revolutionärer Weise den Stand des nachrichtentechnischen Verbundenseins der modernen Welt erhöht. Viele ökonomische, politische und kulturelle Ereignisse an jedem beliebigen Punkt des Erdballs haben praktisch augenblicklich Einfluß auf die Geschehnisse in der ganzen Welt. In nie dagewesenem Ausmaß ist der operative Charakter der Übermittlung von Leitungsbeschlüssen und ihrer Realisierung gewachsen. Es ist die technische Möglichkeit einer globalen Leitung und Verwaltung entstanden.

Die Computertechnologie faßt in allen Lebenssphären von Staat und Gesellschaft Wurzeln. Dank der Erfindung des Mikroprozessors hat sich der Computer aus dem Werkzeug eines engen Kreises von Forschern, Planern und Politikern in ein alltägliches Gerät verwandelt. Seiner kulturellen Bedeutung nach ist dies nur mit der Erfindung der Buchdruckerkunst vergleichbar. Jetzt beginnt auch schon das persönliche Leben des Menschen immer mehr und mehr von den Informations- und Kommunikationssystemen abhängig zu sein. Und obwohl sich zur Zeit noch die überwiegende Mehrheit der PC-Benutzer lediglich selbstvergessen mit diesen amüsiert, indem sie elektronische Spiele spielen oder auch das Weltnetz (engl. Internet) hauptsächlich zum Spaß benutzen, so hat sich der PC doch schon zu einem wirksamen Instrument eines völlig neuen Kulturstereotyps entwickelt. Das heißt, es ist die technische Möglichkeit zur Entwicklung eines einheitlichen Wertesystems und eines einheitlichen Lebensstils im Weltmaßstab entstanden.

Daraus ergibt sich einerseits die objektive Notwendigkeit eines Gesamtweltzentrums der politischen und wirtschaftlichen Regulierung und es entsteht andererseits damit gleichzeitig auch die materiell-technische Möglichkeit für das Entstehen und Funktionieren eines solchen Zentrums.

Ein qualitativer Umschwung in der Entwicklung der menschlichen Zivilisation ist herangereift. Dafür ist praktisch alles Notwendige vorhanden:

  1. die Menschheit kann sich von jetzt ab nur als Ganzes entwickeln, anders wird sie einfach mit ihren Problemen nicht zurechtkommen;
  2. sie kann im Prinzip schon bewußt und planmäßig diese Entwicklung leiten;
  3. das Niveau der modernen Technik erlaubt die Lösung auch der schwierigsten Aufgaben, die auf diesem Wege entstehen können.

Wie heißt es doch, ein neues Ausmaß technisch-ökonomischen, sozial-politischen und kulturellen Fortschritts klopft an die Tür. Aber was das Kriterium zur Beurteilung dieses neuen Fortschritts sein wird - diese wesentlichste Frage bleibt offen. Beeinflussen doch soziale, politische und nationale Interessen die Antwort. Aber diese Interessen waren sowohl und bleiben auch bis zum heutigen Tag verschieden. Welche von ihnen werden im Verlauf der Globalisierung triumphieren und welche unterdrückt werden? Und wenn die Interessen in Übereinstimmung gebracht und harmonisiert werden sollten, auf welchem konkretem Wege könnte oder wird das geschehen?

Kurzum, schon wieder einmal bestätigt sich die These der Klassiker des Marxismus-Leninismus, daß jedwede Revolution - und sei es sogar die wissenschaftlich-technische - schärfstens die Frage der Macht stellt. Nicht nur der politischen und ökonomischen Macht, sondern auch die nach der Informations-, der kulturellen und der geistigen Macht. Die Entwicklung der kapitalistischen Länder der sogenannten Ersten Welt, oder der „goldenen Milliarde", antworten auf diese Frage klar und eindeutig: jetzt und auch künftig wird die Globalisierung unter unserer Führung vollzogen. Die Menschheit wird nach unseren Vorstellungen, Vorhersagen und Modellen leben und sich entwickeln. Zur Ausarbeitung dieser Modelle hat man die besten intellektuellen Kräfte des Westens mobilisiert und zu ihrer Realisierung werden gigantische finanzielle, materielle und militärische Ressourcen verausgabt.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

2. Die dreietagige Zivilisation

In der westlichen Literatur ist die theoretische Begründung der neuen Globalisierung äußerst allgemein und eklektisch. Unter ihren „geistigen Vätern” treten die Namen des Soziologen I. Wallerstein, der Philosophen K. Popper und F. Fukujama, des „grauen Kardinals” der amerikanischen Außenpolitik, Z. Brzezinski, und des Finanziers J. Attalie hervor.

I. Wallerstein betrachtet das kapitalistische Weltsystem als erste historische Form der globalen Weltordnung, die sich im Zusammenwirkung dreier Regionen entwickelt: eines hochentwickelten Kerns, der ewig armen Peripherie und eines Puffers der Halbperipherie. Jedoch die Mängel des klassischen Kapitalismus verursachen nach seiner Meinung unvermeidlich zerstörerische Krisen, die die Welt mit einer Perodizität von 50-100 Jahren erschüttern. Gemäß der Konzeption Wallersteins ist die Überwindung dieser Mängel, die auf dem Planeten seit Beginn des XVI. Jahrhunderts dominieren, nur im Rahmen eines neuen globalen Systems möglich. Und das Ende des XX. Jahrhunderts bedeutet ein solches historisches Umschwungsmoment, den Übergang von der Epoche des Kapitalismus zu einer neuen Ordnung der Welt. Die Frage, was nach dem Ende des kapitalistischen Weltsystems kommen werde, läßt Wallerstein offen.

Die Theoretiker der „Globalisierung” zieht an der Idee Wallersteins vor allem an, daß die Welt ein einheitliches System sei, dessen Zustand durch den Charakter des Zusammenwirkens des Kerns, das ist in ihrem Verständnis natürlich der Westen, der Peripherie, das sind die Länder der „Dritten Welt", und eine Art „Pufferzone", bestehend aus den Rohstoff- und technologischen Anhängseln des Westens, bestimmt werde.

K. Popper hat als Autor des im Westen populären Buches „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde” breiten Bekanntheitsgrad erhalten. Der Sinn seiner Erwägungen läßt sich auf Folgendes zusammenfassen: die menschliche Erkenntnis ist ihrer Natur nach unvollkommen, die absolute Wahrheit, das ideale Modell der Gesellschaftsordnung ist dem Menschen unzugänglich. Popper behauptet offen, „die Geschichte hat keinen Sinn". Deshalb ruft er die Menschheit auf, sich mit einer solchen Form der Gesellschaft zu begnügen, die in maximaler Stufe offen für Modernisierung sei. Eine offene Gesellschaft, das sei eine Gesellschaft, die in jedem Moment bereit sei, ihre historischen Werte, kulturellen Bräuche und geistigen Traditionen „daseinsverbessenden” und technologischen Innovationen zu opfern.

Wodurch aber zieht die Theoretiker und Praktiker der „Globalisierung” die Idee der „offenen Gesellschaft” so an? Sie bemühen sich, hier eine moralische Begründung für ihre Pläne zu finden, ein universelles Prinzip, das zu einem vereinigenden Wert in der mosaikhaften und widersprüchlichen Welt wird, die durch einer Fülle von unterschiedlichen Bräuchen, Traditionen und Religionen charakterisiert ist. Sie brauchen einen Mechanismus, der ihnen als Rechtfertigung dienen kann, die Eigenarten der Völker und Staaten in Übereinstimmung mit den einheitlichen Standards der neuen Weltordnung zu „verkochen".

Der bekannte Börsenspekulant und aktive Anhänger der „Globalisation", G. Soros, schreibt in einem seiner Bücher, daß die Idee der offenen Gesellschaft „die Vorzüge des Maktmechanismus gebührend würdigt, ihn jedoch nicht idealisiert. Sie anerkennt die Rolle anderer Werte in der Gesellschaft. Auf der anderen Seite stellt dieses Prinzip, unter Beachtung der unserer globalen Gesellschaft eigenen Vielfalt, dennoch eine ausreichende konzeptionelle Grundlage dar, um die notwendigen Institutionen zu schaffen."

Unter der bescheidenen Bezeichnung „Institutionen” hat der berühmte Milliardär das weltweite System der politischen, finanziell-ökonomischen und militärisch-strategischen Organisationen im Blick, die zu effektiven Instrumenten des Aufbaus einer globalen Struktur der finanziellen Drahtzieher werden sollen.

Der geopolitische Aspekt der „Globalisierung” ist ausführlich von Z. Brzezinski ausgearbeitet worden, einem der einflußreichsten „Schmiede” des amerikanischen außenpolitischen Kurses der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts und Lehrer des jetzigen Staatssekretärs der USA, K. Rice.

Brzezinski behauptet, daß der kürzesten Weg zur globalen Weltordnung über die allseitige Hegemonie der „letzten Supermacht” - der Vereinigten Staaten von Amerika - führe. „Das Ziel der Politik der USA, -schreibt er in seinem Buch ,The Grand Chessboard: American Primacy and its Geostrategic Imperatives' (,Das große Schachbrett') - muß aus zwei Teilen bestehen: der Notwendigkeit, ihre herrschende Lage zu stärken, und der Notwendigkeit, eine geopolitische Struktur zu schaffen, die fähig sein wird, unvermeidliche Erschütterungen und Spannungen zu mildern", die durch die Zwangszurechtschneidung der Welt nach der Schablone der „neuen Weltordnung” hervorgerufen würden.

Die nächste Etappe einer solchen Zurechtschneidung müsse nach Brzezinski darin bestehen, „ein Netz internationaler Beziehungen außerhalb des Rahmens des traditionellen Systems der Nationalstaaten” aufzubauen. Schon jetzt, so gibt er zu, schaffe dieses Netz, „das von den multinationalen Konzernen gewoben wurde, ein inoffizielles Weltsystem für die allumfassende Zusammenarbeit in globalen Maßstäben". Unter dem Druck der multinationalen Konzerne wird eine neue Basis internationalen Rechts geschaffen, die die unumschränkte Herrschaft der oligarchischen Finanzgruppen sichert und deren Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten, die die Errichtung einer solchen Herrschaft behindern, legalisiert.

Der Prozeß der Revision der Grundnormen des internationalen Rechts läuft schon in vollem Gange. So hat auf dem „Summit des Jahrtausends", durchgeführt unter der Ägide der UNO im September 2000, auf dem 188 Führer souveräner Staaten anwesend waren, der Generalsekretär der UNO, K. Annan, erklärt: „Unsere Nachkriegsinstitutionen wurden für eine internationale Welt geschaffen, aber jetzt leben wir in einer globalen Welt. Die effektive Regulierung dieses Umbruchs, das ist die institutionelle Hauptaufgabe, die heute vor den Führern der Welt steht".

Sein Vorgänger auf diesem Posten, Butros Ghali, war noch offener. „Heute handelt es sich nicht darum, den Frieden zwischen den Staaten aufrechtzuerhalten", schrieb er 1994. „Es ist notwendig, Mittel zur Regulierung von Meinungsverschiedenheiten zu finden, die die Völker innerhalb der Staaten selbst trennen. Diese neuen Aufgaben verändern grundlegendend den Sinn, den die internationale Gemeinschaft bis in die jüngste Zeit in die Aufrechterhaltung des Friedens hineingelegt hat. Kann zugelassen werden, daß irgendein Staat unter dem Deckmantel seiner Soveränität auf seinem Territorium die Menschenrechte mit Füßen tritt? ... Kann man nach wie vor als Staat jene Territorien ansehen, auf denen es keine Kontinuität in der Politik gibt? ... Daraus folgt meiner Ansicht nach, daß Einmischung mit dem Ziel, Unzulänglichkeiten zu beheben, die undemokratischen Staaten eigen sind, eine moralische Pflicht der internationalen Organisationen darstellt."

Irak und Serbien sind genügend klare Illustrationen dafür, mit welchen Methoden diese „Einmischung mit dem Ziel, Unzulänglichkeiten zu beheben” durchgeführt wird. Rußland und eine ganze Reihe anderer Länder haben allen Grund, beunruhigt zu sein, daß der Tag, da sie auf dieser Liste an der Reihe sind, nicht mehr weit weg sein könnte.

Jedoch solange in der Welt einflußreiche Kräfte existieren, die sich einem solchen Entwicklungsszenarium entgegenstellen, ist die unterdrückende militärische und politische Macht der USA notwendig, um jegliche Versuche das Widerstandes gegen die neue Weltordnung wirksam zu verhindern. Diese Etappe des Aufbaus der „neuen Weltordnung” wird nach Meinung von Brzezinski noch einige Jahrzehnte fortgesetzt werden müssen, bis ein „real funktionierende System der globalen Zusammenarbeit geschaffen sein wird, das allmählich die Rolle eines internationalen ,Regenten' übernimmt, der fähig ist, die Last der Verantwortung für die Stabilität in der ganzen Welt zu übernehmen". Ein solches globales System wird letztlich, „auf gebührende Weise die Rolle Amerikas als erster, einziger und letzter wahrer Supermacht in der Welt legitimieren".

Seinerseits hat J. Attalie, ehemaliger Finanzberater des Präsidenten Frankreichs und erster Leiter der „Europäischen Bank für Rekonstruktion und Entwicklung", eine geschichtsphilosophische Theorie der Globalisierung geschaffen, die er insbesondere in seinem Buch „Linien des Horizontes” dargelegt hat.

Gemäß dieser Theorie stellt sich die menschliche Geschichte als konsequenter Wechsel der gesellschaftlich-ökonomischen Formationen dar, die sich untereinander in erster Linie durch fundamentale Werte unterscheiden, die dem menschlichen Sein zugrunde liegen. Auf dieser Begründung sondert er eine Epoche aus, für die das religiöse Bewußtsein mit seinem Kult des Heiligen bestimmend war. Danach folgt die Epoche der Eroberungen mit ihrem Kult der Kraft und der Persönlichkeit des Monarchen, des Führers als Verkörperung dieser Kraft. Und schließlich kommt die Epoche, die Attalie als „Gesellschaft des Handels” mit ihrem Kult des Geldes als universellem und absolutem Wert charakterisiert.

Im Rahmen dieser Theorie ist die „Gesellschaft des Handels” höchste und endgültige Form der Entwicklung der Menschheit. Danach wird gerade sie, die sich auf die phantastischen Errungenschaften der Wissenschaft und die Errungenschaften neuester Technologie stützt, schließlich fähig sein, die ganze Menschheit im Rahmen einer einheitlichen, globalen Gesellschaft zu vereinigen, die keinerlei nationale, staatliche und religiöse Unterschiede anerkennen werde. Der neue Mensch, hervorgebracht von der „Gesellschaft des Handels", wird frei sein von .jeglichen „einschränkenden Einflüssen” - von nationalen Wurzeln, kulturellen Traditionen, staatlichen und politischen Leidenschaften, sogar von ständigen familiären Bindungen. Deshalb nennt Attalie die neue Zivilisation, die sich im Resultat des Sieges einer solchen Weltordnung durchsetzen werde, - die Zivilisation der Nomaden, die miteinander und auch nicht mit der Welt durch nichts verbunden sind, außer universellen Finanzverbindungen. Im Endergebnis wird „der Mensch sich selbst produzieren, ähnlich einer Ware, und das Leben selbst wird zum Gegenstand einer künstlichen Fabrikation und zum Wertobjekt".

Schließlich dient auch die von dem amerikanischen Professors F. Fukujama entwickelte Theorie vom „Endes der Geschichte", gemäß der die jetzige Zivilisation des Westens in der Form der liberalen Demokratie mit ihren Werten des egoistischen Individualismus, des „freien Marktes” und der „universellen Menschenrechte” das Endstadium der Entwicklung der Menschheit seien, nur als ideologischer Deckmantel, um allen Völkern die „neue Weltordnung” aufzuzwingen.

Zur Begründung der von den Schöpfern der „neuen Weltordnung” erstrebten „Globalisierung” dienen demnach die folgende Hauptideen:

Unschwer ist festzustellen,daß diese westliche „Philosophie der Globalisierung” einen klar konservativ-erhaltenden Charakter besitzt. Aus historischer Sicht läuft sie letztlich darauf hinaus, die Entwicklung um jeden Preis im früheren qualitativen Rahmen fortzuführen, das heißt, die gesellschaftliche Entwicklung anzuhalten, also auch im buchstäblichen Sinne des Wortes der Geschichte „den Garaus zu machen". Zur Globalisierung in ihrem jetzigen Wesen gäbe es keine Alternative - so lautet ihr letztes Wort.

In sozialer Hinsicht ist sie lediglich auf Glättung und Verkleisterung der Widersprüche, nicht aber auf deren Lösung gerichtet. Von ihrem Standpunkt aus sind die Widersprüche zwischen den Anhänger und Gegner der Globalisierung nur Mißverständnisse. Die Streitenden sprechen angeblich nur von verschiedenen Seiten ein und desselben Gegenstandes: die einen von den Errungenschaften des Fortschritts, die anderen aber von ihren Kosten. Deshalb bräuchten sie aber nicht zu streiten, sondern sie sollten sich vereinigen. Denn so könnten die einen die wissenschaftlich-technische und ökonomische Entwicklung fortbewegen, während die anderen sich um die Minimierung ihrer negativen Nebenwirkungen sorgen. Jene aber, die dies nicht verstündenen, seien einfach Rückschrittler und Feinde des Fortschritts. Die Frage, wie real eine solche Idylle sei, wird nicht einmal gestellt.

Was aber den eigentlich wissenschaftlichen Aspekt des Problems betrifft, so sind alle Termini und Definitionen, die vom bürgerlichen Denken für die Bezeichnung des Prozesses der Globalisierung und ihrer gegenwärtigen Etappe erfunden worden sind, lediglich eine mehr oder weniger ausführliche Beschreiben seiner äußeren Merkmale. Das ist nicht einmal eine Definition, sondern eher eine Allegorie, die keinesfalls die Frage nach dem Wesen dieses Prozesses, nach dessen Triebkräften, dessen konkreten Formen und Besonderheiten beantwortet.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

3. Das Wesen der Globalisierung

Ja, die Globalisierung - das ist ein objektiver, notwendiger Prozeß, der die Menschheit während ihrer ganzen Geschichte begleitet. Aber zugleich ist das auch ein gesellschaftlicher Prozeß, der sich in der Tätigkeit von Individien, sozialen Gruppen, Schichten, Klassen, Nationen und Zivilisationen vollzieht, die wechselseitig miteinander zusammenhängen. Er ist unmittelbar mit ihren Zielen und Interessen verbunden. Und dies erfordert eine ganz besondere Methodologie seines Studiums, das nur möglich ist, wenn man zum Erbe der klassischen marxistisch-leninistischen Theorie zurückkehrt.

Ein Marxist, so schrieb Lenin, „beschränkt sich nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit des Prozesses, sondern erklärt, welche besondere gesellschaftlich-ökonomische Formation diesem Prozeß den Inhalt gibt, eben welche Klasse diese Notwendigkeit bestimmt".

Indem er diese These entwickelte, ist Lenin zu einer Schlußfolgerung von gewaltiger prinzipieller Bedeutung gekommen: Historische Notwendigkeiten können „ihrer Natur nach” auf verschieden Wegen realisiert werden. Die Geschichte stellt vorzugsweise nicht die Frage nach dem „Sein oder Nichtsein", sondern nach dem „wie des Seins". Sie kennt nicht eine eindeutige, im voraus hart vorbestimmte Entwicklung der Ereignisse. Ein und demselben objektiven Prozeß können verschiedene gesellschaftlich-ökonomische Formationen den Inhalt geben. Verschiedene Klassen und soziale Gruppen können ein und dieselbe Notwendigkeit bestimmen. Und in Abhängigkeit davon können die größten gesellschaftlichen Probleme auf verschiedenen Wegen gelöst werden. (Das ergibt sich daraus, daß dem Menschen von unseren Göttern die Freiheit der Entscheidung gegeben wurde. - Anm. d. Red.) Der gesellschaftliche Kampf wird eben darum geführt, welcher von diesen Wegen der Entwicklung genommen werden soll.

Wie ist das zum Beispiel mit den gegenwärtigen globalen Problemen? - Sind sie eine Erscheinung, die aus dem „Fortschritt überhaupt” entstanden ist, oder sind sie mit ganz bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen verbunden? Diese Frage wird von den bürgerlichen Theoretikern der Globalisierung sorgfältig umgangen und verkleistert. Wo hat zum Beispiel der räuberische, verschwenderische Charakter der modernen Industrieproduktion, der zu einer Ressourcen- und ökologischen Krise führt, seine Ursachen? Ist diese Besonderheit der „Produktion überhaupt” eigen, oder ergibt sie sich aus der Unterordnung der materiellen Produktion unter die Marktgesetze der Gewinnmaximierung und der Akkumulation des Kapitals, die keinerlei Grenzen in ihrem Bestreben nach Wachstum kennen?

Globale Probleme betreffen zwar für die ganze Menschheit gemeinsam, jedoch hervorgebracht sind sie nicht von der gesamten Menschheit zusammengenommen, sondern von einer konkreten sozial-ökonomischen Formation - dem Kapitalismus, also der Gruppe der entwickeltsten kapitalistischen Länder. So entsteht folgendes Dilemma: entweder die ganze Menschheit muß die Suppe für den Kapitalismus auslöffeln und auf ihre Kosten seine Probleme lösen, oder der Kapitalismus selber verwandelt sich für die Menschheit in ein Problem, das ihr Wohlergehen und ihre Existenz selbst bedroht.

Nehmen wir als Beispiel die Erscheinung, mit der die Menschheit erst in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts konfrontiert wurde und deren Glaubwürdigkeit von niemandem in Zweifel gezogen wird. Sie ist in den Deklarationen internationaler Foren, in erster Linie der Konferenz der UNO in Rio de Janeiro 1992, beschrieben worden. Das Wesen dieser Erscheinung besteht darin, daß die Ausdehnung des westlichen Modells der Produktion und des Konsums auf die ganze Welt in Anbetracht der Ressourcen und ökologischen Begrenzungen unmöglich ist. Aus dieser unbestrittenen Tatsache folgt, daß, da ja das westliche Modell in globalem Maßstab nicht realisierbar ist, die Menschheit insgesamt irgendwie ein anderes Mittel der Existenz und Entwicklung suchen muß. Nennen wir dieses hypothetische Mittel „nachhaltige Entwicklung” - ein Terminus, ebenso breit und neutral wie auch „Globalisierung". Aber was weiter?

Die Antwort auf diese Frage zeigt, daß aus einer unbestrittenen Tatsache vollkommen verschiedene, sogar diametral entgegengesetzte, soziale und politische Schlußfolgerungen gezogen werden können und auch gezogen werden. Die Konzeption der nachhaltigen Entwicklung kann vollkommen verschiedene Interpretationen besitzen.

Eine der möglichen Schlußfolgerungen geht davon aus, daß Malthus im Prinzip recht hatte: „das Gesetz des abnehmenden Bodenertrages” ist unabänderlich, der zweite Satz der Thermodynamik universell. Deshalb bestehe die Lösung darin, daß das westliche Modell der Produktion und des Konsums nur in den Ländern der „goldenen Milliarde” erhalten bleiben soll, die „übrige Welt” sich aber zu Opfern bereitzufinden habe. Die theoretischen Grundlagen einer solchen Lösung lagen schon in den 70er Jahren einer Reihe von Berichten zugrunde, die im Auftrag des erwähnten Club of Rom -einer elitären Organisation von Geschaftsleuten und Gelehrten - vorbereitet worden sind. In ihnen waren die Konzeptionen der „Grenzen des Wachstums", des „Nullwachstums", des „organischen Wachstums” formuliert. Sie alle sind letztlich auf die Idee einer mengenmäßigen Begrenzung der Entwicklung der Produktivkräfte innerhalb des bisherigen qualitativen, kapitalistischen Rahmen zurückzuführen. Somit besitzen der ungestüme bürgerliche Fortschrittsglaube, das unbegrenzte Jagen nach Konsum als ihre Kehrseite einen tiefen historischen und technologischen Pessimismus, der auch in der Konzeption vom „Ende der Geschichte” zum Ausdruck kommt.

Eine andere mögliche Schlußfolgerung wäre die, daß das westliche Modell der Produktion und des Konsums überwunden und durch ein anderes ersetzt werden muß. Der gesellschaftliche Fortschritt muß eine neue Qualität gewinnen.

 

Das Programm der KPRF zeichnet diese Alternative so:

"Am Beginn des neuen Jahrtausends steht die Menschheit vor der dramatischsten Wahl des Weges ihrer weiteren Entwicklung, die sie je in ihrer ganzen Geschichte treffen mußte. Bedingt durch die entgegengesetzten sozialen und Klasseninteressen gibt es unserer Ansicht nach im Ganzen nur zwei Wahlmöglichkeiten:

Somit ist die Globalisierung ein Prozeß, dem kein eindeutiger Weg vorgegeben ist, sondern dem mehrere Wege offenstehen, für den also unterschiedliche Entwicklungsalternativen möglich sind. Es ist jedoch vollkommen unmöglich sich in diesen Alternativen zurechtzufinden, wenn man auf dem Niveau des Verständnisses der Globalisierung bleibt, das in der modernen westlichen Literatur vorherrscht. Um diese äußerst schwierigen Probleme zu verstehen, hilft die Hinwendung zum klassischen Erbe der Begründer des Marxismus-Leninismus.

Gemäß dem historisch-materialistischen Verständnis des gesellschaftlichen Fortschritts, ist der Prozeß der Vergesellschaftung der Arbeit die grundlegende und bestimmenden Tendenz der Welt, die alle Stufen der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft durchdringt und die Triebkraft ihrer immer tieferen und allseitigeren Integration ist.

Das Wesen dieser ökonomischen Kategorie ist in den Arbeiten von Marx und Lenin allseitig beleuchtet worden. Eine Reihe ihrer Aspekte in bezug auf die gegenwärtige Epoche werden wir im Verlauf der weiteren Darlegungen zu erläutern versuchen. Hier muß man aber betonen, daß gerade die kapitalistische Produktionsweise einen der gewichtigsten Beiträge zur Verstärkung der Vergesellschaftung der Arbeit leistet. Mehr noch, der Kapitalismus selber schafft die Voraussetzungen dafür, daß sich dieser Prozeß auf einem anderen Wege als dem der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und dem Klassenantagonismus fortsetzen kann. Lenin formulierte diese These so: „Die Vergesellschaftung der Arbeit, die in tausendfältiger Form mit ständig zunehmender Geschwindigkeit vorwärts schreitet und ... besonders sinnfällig in Erscheinung tritt im Wachstum des Großbetriebs, der kapitalistischen Kartelle, Syndikate und Trusts, ebenso aber im gigantischen Anwachsen des Umfangs und der Macht des Finanzkapitals - das ist die hauptsächliche materielle Grundlage für das unvermeidliche Kommen des Sozialismus."

Daher ist die allgemeinste Definition der Gesamtheit der Erscheinungen, die durch den Terminus „Globalisierung” bezeichnet werden: „die kapitalistische Form der Vergesellschaftung der Arbeit, die weltweites Ausmaß erreicht hat."

Jedoch existieren auch alternative Formen der Vergesellschaftung der Arbeit. In der gegenwärtigen Epoche kann sie in zweifacher Weise vor sich gehen: entweder in der Form einer immer härteren Unterordnung der Arbeit unter das Kapital oder in der Form der Befreiung der Arbeit von der Macht des Kapitals.

Der tiefe weltgeschichtliche Inhalt dieser Alternative wird klar, wenn man sich daran erinnert, daß im marxistischen Verständnis die Kategorien Arbeit und Kapital ihrem Inhalt nach bedeutend breiter sind als die traditionelle eng ökonomische Interpretation. Arbeit ist vor allem Artmerkmal des Menschen, Mittel seiner Existenz, Mittel seiner Entwicklung - der individuellen und der gesellschaftlichen. Ihr Wesen ist nicht einfache Verausgabung von Energie, sondern Schöpfertum. So ist, gemäß K. Marx, Arbeit ganz allgemein „alle wissenschaftliche Arbeit, alle Entdeckung, alle Erfindung". Das Kapital aber - das ist vergegenständlichte, tote Arbeit (geronnene Arbeit), die Geldwertform angenommen hat und über die lebendige Arbeit herrscht. Das Gesetz seiner Entwicklung - das ist ein grenzenloses quantitatives Anwachsen, beraubt jeglicher qualitativer Bestimmtheit. Dem Kapital ist es im Prinzip gleichgültig, dank welcher bestimmter Art von Arbeit es wächst - Produktion von Medizin oder Fabrikation von Rauschgift. Deshalb besitzt der historische Gegensatz von Arbeit und Kapital einen sehr tiefen, wesentlichen Charakter und umfaßt nicht nur die ökonomischen, sondern praktisch auch alle anderen wichtigen Aspekte des menschlichen Lebens.

Alternativen zur Vergesellschaftung der Arbeit gibt es nicht und kann es auch nicht geben. Aber eine Alternative zu ihrer kapitalistischen Form gab es, gibt es und wird es geben. „Der Sozialismus als internationale Lehre” - so wird im Politischen Bericht des ZK der KPRF an den VII. Parteitag hervorgehoben - „lehnt keineswegs Integrationsprozesse in der Welt ab, die gegenseitige Verflechtung der Wirtschaft, die gegenseitige Bereicherung der Kulturen, das gegenseitige Zusammenwirken eigenständiger Zivilisationen. Aber er erweist sich als reale Alternative zu jenen häßlichen Formen, die die Weltintegration beim Kapitalismus annimmt."

Die kapitalistische Globalisierung trägt zwar in sich den Keim, die materielle Möglichkeit des Übergangs zu einer neuen, gerechteren gesellschaftlichen Ordnung. Aber damit sich diese Möglichkeit in Wirklichkeit verwandle, muß sie von ihrer jetzigen, kapitalistischen gesellschaftlichen Umhüllung befreit werden.

Die Menschheit befindet sich an einer Wegegabelung ihrer Geschichte. Und nirgendwoher folgt, daß die Welt verurteilt ist, sich im Flußbett der Szenarien der westlichen Schöpfer der „neuen Weltordnung” zu bewegen.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

II. Im Schraubstock der imperialistischen Globalisierung

1. „Wird” das Kapital „besser"?

Im Westen, aber im letzten Jahrzehnt auch bei uns in Rußland, spricht und schreibt man viel darüber, daß im Verlauf des XX. Jahrhunderts, und besonders in der nach dem zweiten Weltkrieg begonnenen Phase der Globalisierung, der Kapitalismus seine Natur radikal verändert habe. Er habe angeblich seinen räuberisch-ausbeuterischen Charakter eingebüßt, habe sein Gesicht dem Menschen zugewendet, der Befriedigung seiner Bedürfnisse, und diene immer mehr und mehr dem „Allgemeinwohl". Als Beweis dafür beruft man sich auf den Wohlstand, in dem die Bevölkerung der Länder der „goldenen Milliarde” buchstäblich bade. Noch etwas Geduld und Ausdauer - und der Kapitalismus werde in der ganzen Welt endgültig ein „menschliches Antlitz” gewinnen, alle Menschen werden dann so leben...

Aufrufe, sich zu gedulden, sind ständig im Munde all der Gajdars, Tschubajsse und Grefs. Aber, offen gestanden, sogar im gegenwärtigen russisch-patriotischen Milieu zieht man nicht selten eine prinzipielle Grenze zwischen dem widerlichen und volksfeindlichen „wilden” Kapitalismus, der Rußland vom Jelzinregime aufgezwungen worden sei, der sich noch nicht oder nur sehr schwer in einen „Marktsozialismus” verwandelt habe, und dem Kapitalismus - einem „zivilisierten” - skandinavischen Musters. Gegen den erstgenannten werde man mit allen Kräften kämpfen, aber das Erscheinen des zweitgenannten, das werde man aus vollem Herzen begrüßen.

Was soll man hierzu sagen? Der Kapitalismus ist in vielen seiner Parameter tatsächlich nicht mehr der, der er zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war. Aber es lohnt sich, einmal darüber nachzudenken, warum das so ist?

Lenin hat seinerzeit in Rußland - wie übrigens auch in jedem anderen Land - das Vorhandensein von zwei Spielarten des Kapitals vermerkt: des demokratischen, „volkstümlicheren” und des „Schwarzhunderter- und Oktobristen"-Kapitals. Ich möchte dazu ausführlich aus seinem Brief an A. M. Gorki (3.Januar 1911) zitieren, weil er unmittelbare Beziehungen zu unserem Thema hat:

"Außer im Wachstum des Kapitalismus” - schreibt Lenin - „gibt es kein Unterpfand des Sieges über ihn. Keine einzige reaktionäre Maßnahme, wie das Verbot von Trusts, Einschränkung des Handels u. dgl. verteidigen die Marxisten. Aber jedem das Seine: mögen die Chomjakows und Konsorten Eisenbahnen durch Persien bauen, möge man die Ljachows dorthin schicken, aber Sache der Marxisten ist, den Arbeitern die Augen zu öffnen. Das Kapital frißt und verschlingt, würgt und erstickt, widersetzt euch.

Der Widerstand gegen Kolonialpolitik und internationale Räuberei durch die Organisierung des Proletariats, durch die Verteidigung der Freiheit des proletarischen Kampfes hemmt nicht die Entwicklung des Kapitalismus, sondern beschleunigt sie, da er den Kapitalismus zwingt, zivilisiertere und technisch vollkommenere Methoden anzuwenden. Es gibt Kapitalismus und Kapitalismus. Es gibt den Kapitalismus der Oktobristen und Schwarzhunderter und es gibt den Volkstümler-Kapitalismus (den ,realistischen, demokratischen', voller ,Aktivität'). ... Das internationale Proletariat bedrängt das Kapital zweifach: dadurch, daß es das oktobristische Kapital in demokratisches verwandelt, und dadurch, daß es - indem es das oktobristische Kapital von sich wegtreibt - es zu den Wilden verpflanzt. Das aber erweitert die Basis des Kapitals und bringt es seinem Tode näher. In Westeuropa gibt es schon fast kein oktobristisches Kapital mehr, beinahe das ganze Kapital ist demokratisch. Das oktobristische Kapital ist aus England und Frankreich nach Rußland und nach Asien gewandert. Die russische Revolution und die Revolutionen in Asien sind der Kampf für die Verdrängung des oktobristischen Kapitals und seine Ablösung durch das demokratische Kapital. Aber das demokratische Kapital ist ein Spätling. Weiter geht sein Weg nicht. Weiter ist es aus mit ihm."

Die letzte Schlußfolgerung bleibt auch bis zum heutigen Tag gültig. Eine andere Frage ist, wie und auf welchem konkreten Wege wird diese Voraussicht realisiert? Hier gibt es und kann es auch gar nicht irgendwelchen Automatismus geben, sondern es gibt verschiedene Möglichkeiten. Aber darin ist gar nichts Ungewöhnliches, weil, wie Herzen sagte, „wenn man sich einem Gesetz unterordnet, fällt das Eisen, aber die Daunen fliegen".

Erstens zivilisiert sich das Kapital nur in dem Maße, wie es durch wachsenden Widerstand und Kampf dazu gezwungen wird. Und zweitens ist das Gewinnen eines „menschlichen Antlitzes” des Kapitals in den Metropolen direkt mit der Globalisierung verbunden, mit dem Auslagerung der härtesten und unmenschlichsten Formen der Ausbeutung aus den Metropolen in die Kolonien und die abhängigen Länder.

Das Kapital hat es in gewissem Maße verstanden, sich den veränderten Bedingungen anzupassen, es ist bemerkenswerte Konzessionen an die Forderungen der Arbeiterklasse eingegangen, natürlich ohne zu vergessen, dabei in erster Linie seine eigenen Interessen zu verfolgen. Aber wenn man diese Veränderungen konstatiert, darf man nicht vergessen, daß diese durchaus nicht freiwillig erfolgt sind. Daß sich die Bedingungen verändert haben, das ist vor allem durch den Sieg der Oktoberrevolution in Rußland und dem mächtigen Widerhall des Kampfes der Werktätigen für ihre ökonomischen, sozialen und politischen Rechte geschehen.

Als das Kapital auf wachsenden sozialen Protest und ökonomische Krisen stieß, hat es zwei verschiedene Möglichkeiten zu handeln und diese auch in der politischen Praxis erprobt. Am plastischsten ist diese Alternative im Verlauf der Weltwirtschaftskrise Ende der 20-er, Anfang der 30-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Erscheinung getreten. Damals war vom Präsidenten der USA, F. Roosevelt, der „New Deal” verkündet worden, während Hitler zur Verbreitung seiner „neuen Ordnung” geschritten ist - zuerst in Deutschland, und danach in ganz Europa.

Zwischen diesen Wegen gab es wesentliche Unterschiede der Form nach, aber es gab inhaltlich auch viel Gemeinsames. Sie beide waren direkte Reaktionen der herrschenden Regime auf die radikale Veränderung des Kräfteverhätnisses zwischen Arbeit und Kapital in der Welt als Ergebnis des Sieges der Oktoberrevolution. Beide Wege basierten auf der Verstärkung der staatlichen Einmischung in die Wirtschaft und beide Wege erwiesen ihre Effektivität, wenn man sie vom Standpunkt des Funktionierens des Kapitals aus betrachtet. In beiden Fällen waren die Zugeständnisse an „ihre” Arbeiterklasse kompensiert durch eine Verstärkung der Ausbeutung in anderen Sphären. Und schließlich, was die Hauptsache ist, spiegelte jeder der beiden Wege auf seine Art das Streben der unterschiedlichen imperialistischen Gruppierungen jener Zeit zur Weltherrschaft wider; faktisch versuchten diese Regime jeweils ihre Variante der Globalisierung durchzusetzen.

Deshalb konnten sie nicht umhin, sich in tödlichem Kampf zu schlagen. Aber bemerkenswert ist, daß die historische Initiative bereits nicht mehr in den Händen des Kapitals war. Welcher der beiden Wege die Vorherrschaft erringen würde, das entschied nicht mehr das Kapital selber, sondern der Sozialismus, der in Rußland gesiegt hatte. Es war die Sowjetunion, die durch ihren mächtigen Beitrag zum Sieg über Hitlerdeutschland, die die faschistische Alternative der Entwicklung des Weltkapitalismus verhindert hat. So hat unser Vaterland noch einmal in entscheidender Weise auf den Verlauf der Geschichte Einfluß ausgeübt und die Welt vor einem schrecklichen Unglück gerettet - vor dem weltweiten Sieg des faschistischen Kapital. Deshalb liegt darin, daß der Kapitalismus in einigen Ländern ein „menschliches Anlitz” gewann, keineswegs sein eigenes Verdienst. Das ist ganz und gar das Verdienst des Sozialismus, der als reales ökonomisches, politisches und moralisches Gegengewicht gegen den Kapitalismus gedient hat und den Kampf der Werktätigen in allen Ländern stimuliert hat.

Heute, da dieses Gegengewicht geschwächt ist, hat die faschistische Alternative erneut ihr Haupt erhoben und versucht sich zu voller Größe zu erheben. Kennzeichen dafür kann man überall sehen, und in erster Linie in der anwachsenden Aggressivität des Weltimperialismus in Ökonomie und Politik.

Alles das beweist, daß die klassische marxistisch-leninistische Analyse der fundamentalen Tendenzen der Entwicklung des Kapitalismus keineswegs veraltet ist. Daher sollten wir es als unsere besondere Aufgabe ansehen, Lenins Imperialismustheorie zu lesen und zeitgemäß und schöpferisch zu interpretieren. Das wird uns helfen, das Wesen der Globalisierung als komplexen historischen Prozeß, mit seinen inneren Gesetzmäßigkeiten und unterschiedlichen Zügen tiefgründiger zu begreifen.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

2. Neues als vergessenes Altes

In seiner 1916 geschriebenen Arbeit „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” hat Lenin fünf Kennzeichen aufgezählt, die den Imperialismus charakterisieren:

  1. Konzentration der Produktion und Wachsen der Monopole.
  2. Zusammenwachsen des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Bildung des Finanzkapitals als Resultat dieser Synthese.
  3. Der Kapitalexport übertrifft die Bedeutung des Warenexports.
  4. Aufteilung der Welt zwischen den imperialistischen Mächten und Beginn des Kampfes um ihre Neuaufteilung.
  5. Parasitismus und Fäulnis des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium.

Betrachten wir diese Charakteristika in bezug auf den heutigen Stand der Dinge.

Erstes Kennzeichen:
Konzentration der Produktion und Wachsen der Monopole

„Das ungeheure Wachstum der Industrie und der auffallend rasche Prozeß der Konzentration der Produktion in immer größeren Betrieben ist eine der charakteristischen Besonderheiten des Kapitalismus” in seinem höchsten imperialistischen Stadium, schreibt Lenin. Es lohnt sich schon zu sagen, daß im Verlauf des XX. Jahrhunderts, dieser Zug des gegenwärtigen Imperialismus immer schärfer und schärfer auftrat, indem er dabei wahrhaft grandiose Maßstäbe annahm. Sogar die stärksten Weltmonopole, die scheinbar schon die Grenzen ihres Wachstums erreicht hatten, erweitern und vergrößern sich nichtsdestoweniger. Als krasseste Beispiele der letzten Jahre kann man die Fusion der zwei größsten Erdölgiganten anführen - „Mobil” und „Exxon", sowie die Expansion der Automobilkonzerns „General Motors", der aktiv in Japan und Europa eindringt, wo er praktisch schon solche bekannten Firmen wie „Opel” und „Honda” geschluckt hat.

Heute besitzen die 33 größten Konzerne der Welt, deren Firmensitze sich in den USA befinden, nicht mehr und nicht weniger als 71,8 Prozent aller an der Börse notierten Aktien. In absoluten Ziffern beträgt das fast fünf Trillionen Dollar. Eine solche Macht haben sich nicht einmal ihre Vorgänger erträumt, deren Tätigkeit Lenin analysiert hatte. Und im Weltmaßstab kommen auf den Anteil von fünf Ländern - USA, Japan, Großbritanien, Deutschland und Frankreich - neunzig Prozent der größten Konzerne auf dem Planeten.

Mehr noch, in den letzten Jahrzehnten ist der Prozeß der Konzentration der Produktion und des Wachtums der Monopole in eine neue Qualität getreten. Mit dem Ziel der Erhöhung der Effektivität der Produktion wenden sie sowohl eine harte zentralisierte Planung als auch eine entschiedene administrative Regulierung und eine komplexe soziale Versorgung ihrer Mitarbeiter an.

Aber die Hauptsache liegt darin, daß sie sich die Funktionen aneignen, die ursprünglich dem Staat eigen waren, daß die modernen multinationalen Konzerne (russ. abgekürzt: TNK) immer sichtbarere Züge von Souveränität gewinnen, die bisher nur den geschichtlich herausgebildeten nationalen Staaten eigen waren. Sie sind mit aller Kraft darauf versessen, zu Subjekten internationalen Rechts zu werden, sie sind bestrebt, Gewaltstrukturen zu legitimieren, indem sie unter dem Aushängeschild von Sicherheitsdiensten eigene Armeen und Polizeiorganisationen aufbauen, und sie versuchen unter den verschiedensten Deckmänteln in internationale politische Organisationen einzudringen.

Diese Tendenz bedroht die Stabilität des gesamten politischen Weltsystems. Wenn in der vorangegangenen Epoche die Hauptsubjekte der Weltgeschichte Völker und die Staaten waren, die von ihnen geschaffen worden waren, so setzt die „neue Weltordnung” eine vollkommen andere globale Struktur der Leitung und Verwaltung voraus. „Souveräne Staaten mit ihren Grenzen und mangelhaft koordinierten Gesetzen, ihren internationalen Konflikten und Kriegen stören den freien Handel, das bedeutet, sie stören das Aufblühen und den Fortschritt. Nieder mit der staatlichen Souveränität! Es lebe die Macht der Manager und Bankiers, aber nicht die der Politiker!” - das sind die Hauptlosungen der „neuen Weltordnung". Den Plänen ihrer Architekten nach soll sich die neue globale Konstruktion auf gigantische multinationale Konzerne stützen, die nach den Prinzipien der finanziell-ökonomischen Effektivität funktionieren! Eben sie bilden jenen engen Kreis der neuen Herren der Welt, die die „altmodischen” Staaten mit ihren traditionellen Werten der Souveränität, nationalen Unabhähgigkeit, kulturellen Eigenständigkeit und historischen Kontinuität ablösen sollen.

"Es handelt sich um eine neue kapitalistische Revolution", - schreibt die einflußreiche französische Wochenschrift „Le Monde diplomatique". „Die Globalisierung ergreift die abgelegensten Ecken unseres Planeten und achtet weder staatliche Unabhängigkeit noch unterschiedliche politische Regime. Die Welt durchlebt eine neue Epoche der Eroberungen, die zur Ablösung der kolonialen Eroberungen antritt. Aber wenn früher hauptsächlich Staaten als Eroberer auftraten, so sind es jetzt Konglomerate von Betrieben, privaten Industrie- und Finanzgruppen, die sich die Rolle von Entscheidern des Schicksals der Welt anmaßen. Niemals war ihr Kreis zahlenmäßig so klein und so mächtig".

Zweites Kennzeichen
Zusammenwachsen des Bankkapitals mit dem Industriekapital
und Bildung des Finanzkapitals als Resultat dieser Synthese

Die Entwicklung des Kapitalismus ist bis dahin gelangt, daß „die Hauptprofite den ,Genies' der Finanzmachenschaften zufallen", -schreibt Lenin. „In dem Maße, wie sich das Bankwesen und seine Konzentration in wenigen Institutionen entwickeln, wachsen die Banken aus bescheidenen Vermittlern zu allmächtigen Monopolinhabern an, die fast über das gesamte Geldkapital aller Kapitalisten und Kleinunternehmer sowie über den größten Teil der Produktionsmittel und Rohstoffquellen des betreffenden Landes oder einer ganzen Reihe von Ländern verfügen. Diese Verwandlung zalllreicher bescheidener Vermittler in ein Häuflein Monopolisten bildet einen der Grundprozesse des Hinüberwachsens des Kapitalismus in den kapitalistischen Imperialismus, und deshalb müssen wir in erster Linie bei der Konzentration des Bankwesens verweilen.” Tausende und Abertausende zersplitterter Wirtschaften werden in eine einheitliche gesamtnationale kapitalistische Wirtschaft und danach auch in eine kapitalistische Weltwirtschaft verwandelnd. Es ergibt sich ein „Hinüberwachsen der Banken in Institutionen wahrhaft ,universellen Charakters'."

Hier hat Lenin einen der wichtigsten Züge der gegenwärtigen Globalisierung vorausgesagt - die Herrschaft des Finanzkapitals, das sich das produktive Industriekapital völlig untergeordnet hat. Im Verlauf des vergangenen Jahrhunderts ist die Bedeutung der Banken als Finanzregulator der Weltwirtschaft ständig gewachsen. Mit der Einführung der Elektronenrechner auf diesem Gebiet und und mit der Entwicklung globaler Informationsnetze, solcher wie dem Weltnetz (engl. Internet - Anm. d. Red.), hat das spekulative Kapital die herrschenden Positionen auf praktisch allen Gebieten der menschlichen Tätigkeit eingenommen. In den letzten Jahren hat sich der Prozeß der Globalisierung der Finanzmärkte noch mehr beschleunigt. Heute sind die Schwankungen der Währungskurse, der Zinssätze und der Aktienkurse in den verschiedenen Ländern auf engste Weise miteinander verknüpft. Jede Veränderung in einem der Segmente des Marktes beeinflußt in Sekundenschnelle die anderen Segmente und kann das ganze System erschüttern.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts ist dieser Prozeß, ebenso wie der Prozeß der Konzentration im Rahmen der multinationalen Konzerne, auch in eine neue Qualität übergegangen. Diese ist vor allem dadurch charakterisiert, daß durch eine Art Schneeballsystem innerhalb der größten internationalen Finanzgruppen das Geld beginnt „sich selbst” zu reproduzieren, indem es das Warenstadium vermeidet. Die stürmische Entwicklung virtueller Märkte - der Finanz- und Fondsmärkte - beschleunigt solche Prozesse.

Drittes Kennzeichen
Der Kapitalexport übertrifft die Bedeutung des Warenexports

„Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz,” - schreibt Lenin -„war der Export von Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapitalismus, mit der Herrschaft der Monopole, ist der Export von Kapital kennzeichnend geworden.” „Die kapitalexportierenden Länder haben fast immer die Möglichkeit, gewisse ,Vorteile' zu erlangen, deren Charakter die Eigenart der Epoche des Finanzkapitals und der Monopole ins rechte Licht setzt."

Dieses Merkmal ist heute keineswegs weniger charakteristisch, als 1916. Der Kapitalexport ist mit der Entwicklung der Prozesse der ökonomischen Globalisierung um ein Mehrfaches gewachsen. Mehr noch, mit dem Anwachsen der Macht der multinationalen Konzerne ist er wohl zur wichtigsten Grundlage ihres wirtschaftlichen Wohlergehens geworden. In dem neuen, globalen Finanzsystem ist das Verschieben gewaltiger Kapitale von Kontinent zu Kontinent zu einer Minutensache geworden. Aufgrund der durch die neuen Informationsnetze erreichten Mobilität können heute gigantische Kapitalbeträge mit Leichtigkeit über den ganzen Planeten hin- und hergeschoben werden, um häufig weitentfernt von ihren Eigentümern angelegt zu werden.

Aber auch in diesem scheinbaren Chaos gibt es eine Gesetzmäßigkeit. Wenn man der Logik der leninschen Erwägungen folgend die Frage beantwortet, auf welchen hauptsächlichen Vorteil die modernen Kapitalexporteure aus sind, so werden wir begreifen können, worin die Eigenart der jetzigen Epoche besteht.

Im Allgemeinen ist die Antwort auf diese Frage bekannt. Viele Wirtschaftswissenschaftler haben schon zu Sowjetzeiten hervorgehoben, daß das von den multinationalen Konzerne während der letzten Jahrzehnte exportierte Kapital in der Weltwirtschaft „nicht irgendwie” angelegt wird, sondern mit der klaren Absicht, in kürzester Frist das qualitativ neue globale Schema der internationalen Arbeitsteilung zu schaffen. Nach dem Zerfall der UdSSR hat sich dieser Prozeß um ein Mehrfaches beschleunigt. Heute ist schon offensichtlich, daß die Haupteigenschaft einer solchen Ordnung darin besteht, daß die ganze Welt in einige spezialisierte und nichtgleichberechtigte Zonen aufgeteilt ist.

Die erste von ihnen wird durch die hochentwickelten Länder des Westens und ihre strategischen Partner gebildet, solche wie Japan, deren Bevölkerung in der Gesamtheit die berühmte „goldene Milliarde” bildet. Die sind eine Art von Metropolen eines neuen globalen Kolonialimperialismus, in denen die Hauptorgane der Macht und der Verwaltung konzentriert sein werden. Zu ihnen gehören „die hochorganisierten Räume", wo „die Macht an der Menge des kontrollierten Geldes gemessen wird", das „zum einzigen Äquivalent, zum universellen Maß aller Dinge geworden ist". Eben ein solches Bild zeichnet uns einer der Hauptideologen der Globalisierung und der „neuen Weltordnung” - Jacque Attali in seinem Buch „Linien des Horizonts".

Gemäß seiner Prognosen wird in dieser neuen Welt zum allerwertvollsten Eigentum „die Staatsbürgerschaft im Raum der dominierenden Länder", die „zum Gegenstand des Kaufs und Verkaufs der Pässe auf dem freien Markt wird". Aber das sehr hohe Niveau des Konsums, das von den Architekten der „neuen Weltordnung” für die „goldene Milliarde” vorgesehen ist, fordert ein gewaltiges Volumen an Produktion von Waren und Diensten. Der überwiegende Teil dieser Industrie wird in der sogenannten technologischen Zone konzentriert sein. Dem Denken der Strategen der Globalisierung nach, werden zu ihr die Länder der „zweiten Staffel” gehören, die die Rolle der Rohstoffreservoirs und der „Montagehallen” spielen werden, sie werden die notwendige Lebensqualität der Einwohner der „hochorganisierten Räume” garantieren.

Schließlich gehören zur dritten Zone der globalen Arbeitsteilung die „ökonomisch perspektivlosen” Regionen, an deren Territorien die Länder der „goldenen Milliarde” kein bedeutendes Finanzinteresse haben. Sie werden sich selbst überlassen werden, aber nur gerade soweit, wie diese Freiheit die herausgebildete Weltordnung nicht stört.

Die Hauptgefahr für die Weltstabilität und zu einer ewigen Herausforderung an die Festigkeit und Effektivität der „neuen Weltordnung” werden die das Wohlergehen des Westens bedrohenden Peripheren „niedrigorganisierter Räume” werden, deren arme Bevölkerung in ein finanziell-ökonomisches Ghetto gejagt wird. Diese Bedrohungen beabsichtigen die Architekten der „neuen Weltordnung” mit Hilfe einer globalen militärisch-politischen Diktatur zu neutralisieren.

Somit liegt der Grundvorteil für die modernen Kapitalexporteure im „schleichenden” Erringen der Kontrolle über die Weltwirtschaft, die die Errichtung einer neuen globalen Ordnung der internationalen Arbeitsteilung ermöglicht.

Dies ist übrigens gut daran zu beobachten, wie sich das ausländische Kapital aufführt, das vom Westen in unser Land „exportiert” wird. Heute nennt man dies, damit es „wohlklingt", „ausländische Wirtschaftsinvestitionen". Am Wesen der Dinge hat sich dadurch jedoch nichts geändert. Schauen wir uns einmal an, woher der Westen das Geld nimmt, in welche Branchen der russischen Wirtschaft er investiert und welche Zwecke er damit anstrebt.

An und für sich gibt es - versteht sich - bei ausländischen Investitionen nichts Schlechtes. Wenn sie im realen Sektor der Wirtschaft geschehen und helfen, die Probleme der sozio-ökonomischen Entwicklung Rußlands zu lösen, kann man sie nur begrüßen. Aber die Praxis zeigt, daß die Wirklichkeit leider von diesem idealen Schema weit entfernt ist. Zehn Jahre praktisch „unkontrollierter” Entwicklung des „zügellosen Marktes” in Rußland erlauben mit Überzeugung zu behaupten, daß die westlichen Investitionen sich nach drei Grundrichtungen orientieren:

Das Resultat solcher „Investitionen” ist gut bekannt: Zusammenbruch des Rubels, Vervierfachung des Dollarkurses gegenüber dem Rubel und dementsprechende Erhöhung der Außenschulden Rußlands, was zum beinahe völligen Verlust der finanziellen Unabhängigkeit des Landes und zur Vertiefung der Wirschaftskrise im Lande selbst führte.

Die Gesamtheit der hier aufgezählten Arten von Rohstoffen bringt dem Land drei Viertel aller Einnahmen aus dem russischen Außenhandel und mit jedem Jahr wächst diese Zahl. Und die Perspektivpläne für die nächsten 20 Jahre sehen eine weitere Erhöhungen der Lieferungen von Erdgas nach Westeuropa auf fast die doppelte Menge vor. Ferner soll die Erschließung der Naturressourcen Sibiriens und und des Fernen Ostens, sowie der Bau neuer Erdölleitungen gemeinsam mit ausländischen Unternehmen erfolgen. Hierfür sollen „feste Gesetzesgarantien” für das ausländische Kapital in Rußland geschaffen werden. Was dabei herauskommen wird, ist schon jetzt klar. Es genügt, zum Beispiel, nach Venezuela zu blicken, das zu den ersten sechs Erdölexporteuren der Welt gehört. Während der letzten 25 Jahre hat dieses verhätnismäßig kleine Land tatsächlich für 300 Milliarden Dollar an „schwarzem Gold” ins Ausland hinausgepumpt. Und was ist das Ergebnis? Mehr als die Hälfte seiner Bewohner leben weiter in Armut und ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung hat keine Arbeit.

Insgesamt kann man mit voller Begründung behaupten, daß das Hauptziel der ausländischen Investitionen in die russische Wirtschaft das Bestreben ist, unser Land so stark wie möglich in das „ökonomische Weltsystem” einzubinden und es als Rohstoffspender und technologisches Anhängsel der Länder der „goldenen Milliarde” in das neue globale Schema der internationalen Arbeitsteilung einzubeziehen.

Viertes Kennzeichen
Aufteilung der Welt zwischen den imperialistischen
Mächten und Beginn des Kampfes um ihre Neuaufteilung

„Die Epoche des jüngsten Kapitalismus zeigt uns,” - schreibt Lenin - „daß sich unter den Kapitalistenverbänden bestimmte Beziehungen herausbilden auf dem Boden der ökonomischen Aufteilung der Welt, daß sich aber daneben und im Zusammenhang damit zwischen den politischen Verbänden, den Staaten, bestimmte Beziehungen herausbilden auf dem Boden der territorialen Aufteilung der Welt, des Kampfes um die Kolonien, des Kampfes um das Wirtschaftsgebiet."

Diese leninsche Beobachtung ist auch heute noch nicht veraltet. Jedoch hat die immer schnellere Globalisierung aller Gebiete der menschlichen Tätigkeit - der Wirtschaft und der Politik als deren erste - der jetzigen Etappe des Kampfes um die Neuaufteilung der Welt ihren unvermeidlichen Stempel aufgedrückt.

Den Anstoß dazu gaben die Zerstörung der UdSSR und der darauf folgende Zerfall des Weltsystems des Sozialismus. Zum Hauptinhalt dieser Etappe der Neuaufteilung der Welt ist die globale Expansion des Weltimperialismus geworden, mit den USA an der Spitze, und, als gesetzmäßige Folge einer solchen Expansion, das „Überfließen” der politischen Macht aus den legitimen Strukturen - den Regierungen souveräner Staaten - in die Hände informeller Führer der Weltökonomie, die sich um geschlossene elitäre internationale Klubs gruppieren, ähnlich wie der Bilderbergklub oder die Dreiseitige Kommission. Heute erobert die Weltfinanzelite in nie dagewesenem Maße die politische Macht. Die Hauptgefahr einer solchen Lage der Dinge besteht darin, daß sich Leute anschicken die Welt zu regieren, die von niemandem dazu bevollmächtigt, von niemandem gewählt, meistens keinem oder kaum einem bekannt, mit keinerlei öffentlichen Pflichten verbunden sind und der Gesellschaft keinerlei Programm verkündet haben, nach dem es möglich wäre, über ihre wahren Absichten zu urteilen. Der bekannte französische Philosoph Finkilrodt bemerkt dazu: „In der Welt tritt eine neue Aristokratie in Erscheinung - die Interkratie. Das ist ein enger und abgeschlossener Kreis von Menschen. In ihm kennt jeder jeden. Aber für alle Übrigen bleiben sie unbekannt."

Fünftes Kennzeichen
Parasitismus und Fäulnis des Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium, das heißt, das Hemmen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und der Entwicklung der Produktivkräfte.

„Der Imperialismus bedeutet eine ungeheure Anhäufung von Geldkapital in wenigen Ländern,” - schreibt Lenin - „das, wie wir gesehen haben, 100 bis 150 Milliarden Francs in Wertpapieren erreicht. Daraus ergibt sich das außergewöhnliche Anwachsen der Klasse oder, richtiger, der Schicht der Rentner, d. h. Personen, die vom ,Kuponschneiden' leben, Personen, die von der Beteiligung an irgendeinem, Unternehmen völlig losgelöst sind, Personen, deren Beruf der Müßiggang ist. Die Kapitalausfuhr, eine der wesentlichsten ökonomischen Grundlagen des Imperialismus, verstärkt diese völlige Isolierung der Rentnerschicht von der Produktion noch mehr und drückt dem ganzen Land, das von der Ausbeutung der Arbeit einiger überseeischer Länder und Kolonien lebt, den Stempel des Parasitismus auf."

Der englische Ökonom G. Hobson war einer der ersten, der die parasitäre Entwicklung des Imperialismus erforschte. Zu dessen Perspektive schrieb er:

"Der größte Teil Westeuropas könnte dann das Aussehen und den Charakter annehmen, die einige Gegenden in Süd-England, an der Riviera sowie in den von Touristen am meisten besuchten und von den reichen Leuten bewohnten Teilen Italiens und der Schweiz - bereits haben; ein Häuflein reicher Aristokraten, die Dividenden und Pensionen aus demFernen Osten beziehen, mit einer etwas größeren Gruppe von Angestellten und Händlern und einer noch größeren Anzahl von Dienstboten und Arbeitern im Transportgewerbe und in den letzten Stadien der Produktion leicht verderblicher Waren; die wichtigsten Industrien wären verschwunden, die Lebensmittel und Industriefabrikate für den Massenkonsum würden als Tribut aus Asien und Afrika kommen.” „Wir haben die Möglichkeit einer noch umfassenderen Vereinigung der westlichen Länder angedeutet, eine europäische Föderation der Großmächte, die, weit entfernt, die Sache der Weltzivilisation voranzubringen, die ungeheure Gefahr eines westlichen Parasitismus heraufbeschwören könnte: eine Gruppe fortgeschrittener Industrienationen, deren obere Klassen aus Asien und Afrika gewaltige Tribute beziehen und mit Hilfe dieser Tribute große Massen gefügigen Personals unterhalten, die nicht mehr in der Produktion von landwirtschaftlichen und industriellen Massenerzeugnissen, sondern mit persönlichen Dienstleistungen oder untergeordneter Industriearbeit unter der Kontrolle einer neuen Finanzaristokratie beschäftigt werden."

Wenn man zur Kenntnis nimmt, daß seit der Zeit des Schreibens dieser Worte hundert Jahre vergangen sind, kann man nicht umhin die bewundernswerte Exaktheit dieser Voraussicht hervorzuheben. Aber zugleich ist eine solche Exaktheit das richtige Kennzeichen dafür, daß keinerlei qualitativer Bruch in der Entwicklung des Weltimperialismus in den vergangenen hundert Jahren vor sich gegangen ist und deshalb erfüllt sich die Prognose von Hobson praktisch buchstäblich.

Dabei ist der konkrete Mechanismus sehr charakteristisch, mit dessen Hilfe die „goldene Milliarde” für sich die einseitigen Vorzüge garantiert, die Möglichkeit, auf Kosten der übrigen Welt aufzublühen. Er besteht in der Einführung doppelter ökonomischer Ordnungen: der einen für sich, der zweiten für die anderen. (Siehe Noam Chomskys Ausführungen! - Anm. d. Red.)

Die Sache ist die, daß die Konzentration des Kapitals und die Vergesellschaftung der Arbeit objektiv die Marktbeziehungen in der Sphäre der Großproduktion sprengen. Die gegenwärtige Welt ist durch die globale Regulierung der Weltwirtschaft charakterisiert: das Entfernen staatlicher Barrieren auf dem Weg der freien Bewegung des Kapitals, die Unterordnung aller Länder unter eine Weltordung, die vom Internationalen Währungsfonds diktiert wird, der die Politik nicht nur auf den Weltmärkten bestimmt, sondern auch innerhalb den einzelnen Staaten. Der Welt wird eine bürokratische Organisation der Wirtschaft im Interesse der globalen Elite aufgezwungen, für die nur ihre eigenen Gruppeninteressen und Bedürfnisse existieren und die die ganze Welt als Mittel zu ihrer Befriedigung betrachtet. Alle diese Erscheinungen schließen Markt und freie Konkurrenz aus.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

3. Das höchstes Stadium des Imperialismus

In den Kernländern des des Kapitalismus - den USA, Japan und den anderen Staaten der „Sieben” - laufen die Prozesse der Konzentration und setzt sich die Entwicklung weitverzweigter Mechanismen der staatlichen Regulierung fort, die dem Ziel dienen sollen, sich die Spitzenposition in der Nutzung der Errungenschaften des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, der Aneignung von Technologien der Planung und langfristigen Prognose und der Effektivität der Verwaltungsstrukturen im Vergleich mit anderen Ländern zu sichern.

In den wissenschaftsintensivsten und hochtechnologischen Zweigen, die das ökonomische Wachstum bestimmen und die Grundlage der modernen technologischen Produktionsmittel bilden - Flugzeugbau, Raketen- und Kosmostechnologie, Telekommunikation, Kernenergie, Gasindustrie - gibt es keine freie Konkurrenz von Privateigentümern mehr. Praktisch überall gibt es Konkurrenz staatlicher Strukturen, die einen wesendlichen Teil der Wissenschafts-, Forschungs-, Versuchs- und Konstrukteur-Arbeiten und der Privatfirmen finanzieren, privater Firmen, die nach besonderen Perspektivtechnologien in übernationalen Gebilden arbeiten, die auf die Strategie der Entwicklung und auf die Prozesse der Konkurrenz einwirken. Das heißt, in den fortgeschrittenen Richtungen des ökonomischen Wachstums gehen Tendenzen so mächtiger Konzentration vor sich, sowohl des Kapitals als auch der Staatsmacht und des Intellekts, daß von einem freien Markt zu sprechen, einfach unseriös ist.

Gleichzeitig wird der übrigen Welt ein ultraliberales Modell aufgezwungen, das aber seinem Wesen nach ein Regime des gesteuerten Chaos ist, um den Mechanismus des nichtäquivalenten Austauschs zu verbergen, durch den die „goldene Milliarde” die Peripherie ausbeutet. Dieser Mechanismus stützt sich auf die Disparität der Preise, die Konzentration und die Durchsetzung der intellektuellen Rente durch die entwickelten Länder, sowie auf die durch die Verschuldung bedingte Abhängigkeit.

Das heißt, in der Sphäre der Großproduktion sind sowohl der „freie Markt” als auch die Ware-Geldbeziehungen durch die technologischen Gegebenheiten schon überwunden. Jedoch werden sie gewaltsam von der „goldenen Milliarde” den unterjochten Ländern aufgezwungen, um die Mechanismen des nichtäquivalenten Austausches oder ganz einfach gesagt, der Ausplünderung zu gewährleisten. Der „freie Markt” ist nicht mehr ein Element, das für die Entwicklung der Wirtschaft notwendig ist, sondern dient jetzt als spezielles Instrument der Ausbeutung der Peripherie. Im globalen Maßstab hat sich der „freie Markt” in sein genaues Gegenteil verwandelt. Aus der Sphäre, wo „der Idee nach” Äquivalente ausgetauscht werden müßten, hat er sich in eine Sphäre verwandelt, die den nichtäquivalenten Austausch gewährleistet.

Somit ist der Imperialismus nur dadurch möglich, das er den gesellschaftlichen Fortschritts hemmt und die objektiv überlebten Markt- und Ware-Geldbeziehungen künstlich aufrecht erhält, was bedeutet, daß er einen parasitären Charakter hat. Die leninsche These vom Imperialismus als faulendem Kapitalismus wird also immer wieder bestätigt.

Es ist wahr, daß diese These heute zum Gegenstand zahlloser Scherze von Estradenhumoristen geworden ist. Aber ist es vielleicht wirklich lächerlich, angesichts des Konsumrausches, der den Westen erfaßt hat, von einer wirtschaftlichen Fäulnis zu sprechen? Aber wenn man den Spießer- und Estradenstandpunkt verläßt, dann erweist sich, daß das Privatkapital unentwegt die Produktivkräfte der Menschheit in eine unverkennbare Sackgasse treibt.

Allgemein bekannt ist die Erscheinung, daß die Monopole Patente auf die unterschiedlichen Erfindungen aufkaufen, nicht um sie in die Produktion einzuführen, sondern mit dem direkt entgegengesetzten Ziel. Eine solche Praxis wird auch bis auf den heutigen Tag fortgesetzt. Aber die Sache ist nicht nur die, daß die Patente auf die lange Bank geschoben werden. Vielmehr ist es so, daß diese ganze Atmosphäre der fieberhaften Kunsumjagd für das Suchen anderer Richtungen der Entwicklung der Produktivkräfte eine Behinderung ist.

Und dafür gibt es tiefe Ursachen in der Natur des Kapitals. Das Kapital ist ein „Gegenstand", der nichtqualitativ ist. Quantität - das ist seine einzige Qualität. Deshalb kennt das Kapital keine andere Form seiner Entwicklung außer des linearen quantitativen Wachsens. Eine Million Dollar ist gut, eine Milliarde, das ist noch besser, aber eine Trillion erst recht. Das ständige Hinaustreten über jede im gegebenen Moment erreichte Grenze nannte Hegel „üble Unendlichkeit". Das streben nach einer solchen Unendlichkeit ist dem Wesen nach nicht Fortschritt und nicht Entwicklung, sondern mechanisches Hinzuschreiben von Nullen an einen Einer. Und es ist ein Übel, wenn eine Entwicklung solcher Art, die von qualitativer Vervollkommnung abgetrennt ist, künstlich organischen Systemen - gesellschaftlichen und Natursystemen - aufgezwungen wird, die keine rein quantitative Entwicklung kennen.

Der Kapitalismus, der heute den größten Teil des Erdballs beherrscht, hat sich zwar in den fünf Jahrhunderten seiner Existenz in einigen seiner Äußerlichkeiten verändert, ist jedoch in seinem Wesensgehalt gleichgeblieben.

Die „Produktion im allgemeinen” als ewige und natürliche Voraussetzung menschlichen Lebens tritt nach wie vor in der konkret-historischen Form der Produktion von Wert und Mehrwert, dem Kapital, auf. Und die grundlegende Besonderheit von Letzterem besteht - wie gesagt - darin, daß es keinerlei innere qualitatives Eigenschaften besitzt und nur nach unendlichem quantitativem Wachstum strebt.

Eben dieses Schlüsselmoment - das ist die Unterordnung der Produktion der verschiedenqualitativen menschlichen Güter, der materiellen und geistigen Gebrauuchswerte unter die quantitativen Gesetze der Produktion von Gewinn, das heißt von Tauschwert -, die hieraus sich ergebende Rolle des Geldes als herrschenden Maßes aller Dinge und Beziehungen bestimmt den industriellen Charakter der kapitalistischen Produktionsweise sowie das ganze ihn begleitende System der Basis- und Überbauwerte, der Prioritäten und Ziele, der Motive des ökonomischen und sozialen Verhaltens.

Im kapitalistischen System gilt:

Alle diese spezifischen Besonderheiten unterscheiden den Kapitalismus stark von den ihm vorangegangenen gesellschaftlich-ökonomischen Formationen. „Bei den Alten” - schrieb K. Marx - „treffen wir nicht eine Untersuchung darüber an, welche Form des Bodeneigentums usw. die produktivste ist und den größten Reichtum schafft. Der Reichtum tritt nicht als Ziel der Produktion auf. ... Untersucht wird immer die Frage: welche Art des Eigentums garantiert dem Staat die allerbesten Bürger?” Mit Marx stimmt inhaltlich auch Max Weber überein, nach dessen Meinung die kapitalistische Jagd nach Gewinn als Selbstzweck „den moralischen Ansichten ganzer Epochen widerspricht".

Indem der Kapitalismus zum ersten Mal in der Weltgeschichte die Ziele der Produktion von den Zielen des Menschen getrennt hatte, nahm er einen außerordenlich revolutionierenden Einfluß auf die Entwicklung dar Produktivkräfte, auf das Entstehen eines Weltwirtschaftssystems. Aber mit jedem weiteren Fortschritt auf diesem Gebiet vermehren sich auch die Widersprüche des kapitalistischen Systems.

Davon zeugt anschaulich die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg, als eine Gruppe entwickelter kapitalistischer Länder auf Kosten der Mobilisierung und der schonungslosen Ausbeutung der materiellen, Arbeits- und geistigen Ressourcen eines großen Teils des Erdballs in das Stadium der sogenannten Konsumgesellschaft eintrat. In diesem Stadium wird die Maximierung des Massenkonsums zu einer nicht weniger wichtigen Bedingung für das Funktionieren des Kapitals als die Maximierung der Produktion. Das Wesen der vor sich gegangenen Veränderungen analysierend schrieb der zu den bedeutensten sowjetischen Philosophen gehörende M. A. Lifschiz: „Es. gab eine Zeit, da es für den Kapitalismus in bezug auf andere Produktionsweisen, die vor allem den Bedarf befriedigen wollten, charkteristisch war, daß er sich klar für die beschleunigte Entwicklung der Produktion von Produktionsmitteln einsetzte. Jetzt dreht sich die Kompaßnadel des Gewinns bereitwillig auf die andere Seite, was zu einigen Veränderungen in der Struktur der Endprodukte der Industrie geführt hat. Beim Suchen nach noch nicht ausgeschöpften Gewinnquellen des Lebens hat die kapitalistische Gesellschaft gewissermaßen ihre Aufmerksamkeit wieder der Produktion von Gegenständen des Konsums zuzugewandt. ... Aber, so wie das Grundprinzip der kapitalistischen Ordnung unverändert geblieben ist, so kann auch keine Rede von einer Produktion für den Menschen sein, die durch seine wirklichen Bedürfnisse - vom Standpunkt gesellschaftlich Nützlichkeit im gegebenen historischen Rahmen - bestimmt sein würde. Das Paradox besteht darin, daß, nachdem sich das Kapital auf neuer technischer Stufe zur Sphäre des Konsums gewendet hat, wo die Natur - also die qualitative Seite - eine wichtigere Rolle spielt, es zum Inhalt der Sache ebenso gleichgültig und vom Geist des unbegrenzten Wachsens des Wertes ebenso gepackt ist, wie eh und jeh. Bei allerbester Qualität der Ausführung eines Produktes kann dessen Nützlichkeit vollkommen fiktiv oder sogar eine negative Größe sein - aber seine vom ,Business' bestimmte Massenproduktion wird Sie dennoch einholen und es wird uns durch die ganzen Lebensumstände aufgezwungen werden."

Es handelt sich dem Wesen nach um eine neue Form des Zwanges zu superinsensiver Arbeit, um die neueste Methode des Funktionierens des Kapitals, das eine neue Gewinnquelle in der ständigen Umorientierung des Geschmackes der Verbraucher findet. Der Konsum, wie alle Seiten des gesellschaftlichen Seins unter dem Kapitalismus, wird fetischisiert. Aus einer natürlichen Funktion des menschlichen Organismus wird er in ein besonderes Ritual verwandelt, in eine neue „heilige Verpflichtung” des Individuums, von dessen gewissenhafter Erfüllung sein sozialer Status abhängt.

Der Zwang zur Arbeit tritt somit in einer nie dagewesenen paradoxalen Form des Zwanges zum Verbrauch auf, der mit verschiedenartigen Mitteln der Manipulation, in erster Linie mit Hilfe von Reklame verwirklicht wird, die dem Menschen immer neue und neue Arten von Bedürfnissen in der materiellen und geistigen Sphäre aufzwingt. Der künstliche und oft auch verdrehte Charakter der Bedürfnisse wird eher zur Norm als zur Ausnahme, da ja die „Neuheit um der Neuheit willen” sich in die Haupteigenschaft der Ware verwandelt, während der objektive Wert eines Gegenstandes in den Hintergrund gedrängt wird.

Für einen außenstehenden Beobachter, der nicht in ein ähnliches System von Verhältnissen einbezogen ist, scheint der vollkommen unbegreifliche Zwang zum Verbrauch in jedem Falle besser zu sein als Not und Mangelwirtschaft. Mit Letzterem hat er, versteht sich, recht. Der Kapitalismus schafft zum ersten Mal in der Geschichte objektive Voraussetzungen für die Liquidierung von Hunger und Armut. Aber dies erfolgt in einer Form, die zu einer immer größeren Vertiefung des Entfremdungscharakters der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse führt. Dies wird von allen auch nur einigermaßen ernsthaften und aufrichtigen Denkern bemerkt, unabhängig von ihrem jeweiligen politischen und philosophischen Standpunkt.

Erich Fromm, zum Beispiel, beginnt sein Buch „Die Revolution der Hoffnung” mit folgender charakteristischer Passage: „In unserer Mitte geht ein Gespenst um, das nur wenige deutlich sehen. Es ist nicht der alte Geist des Kommunismus oder des Faschismus. Es ist ein neues Gespenst: eine völlig mechanisierte Gesellschaft, die sich der maximalen Produktion und dem maximalen Konsum verschrieben hat und von Computern gesteuert wird. In diesem gesellschaftlichen Prozess verwandelt sich der Mensch selbst in einen zwar geölten und instand gehaltenen, aber untätigen, unlebendigen und gefühlsarmen Teil der Gesamtmaschinerie. Mit dem Sieg der neuen Gesellschaft werden Individualismus und Privatleben verschwinden. Das Mitgefühl mit anderen wird mit Hilfe psychologischer Konditionierung und anderer derartiger Methoden oder auch mit Hilfe von Drogen, die gleichzeitig eine neue Art der introspektiven Erfahrung vermitteln, organisiert werden."

Die individuelle Freiheit büßt immer mehr ihren wirklichen Inhalt ein und wird erniedrigt zur Möglichkeit, unter hundert und tausend ununterbrochen sich ändernden, aber faktisch identischen Arten ein und derselben Ware (Kandidaten für Präsidenten, Teleserien, Produkte der „Massenkultur” usw.) in vorgegebenem, festem Rahmen zu wählen. Jedoch sogar dieses Surrogat der Freiheit für die Minderheit stützt sich nach wie vor auf die wachsende Unfreiheit der Mehrheit. Der Superkonsum der „goldenen Milliarde", die in den herrschenden kapitalistischen Ländern leben, basiert auf chronischem Unterversorgung, auf der absoluten und relativen Verelendung eines großen Teils der Bevölkerung der Erde.

Der Imperialismus bremst die gesellschaftliche Entwicklung. Er tut dies mit den raffiniertesten Methoden:

Erstens kultiviert und praktiziert er die Theorie von der „Grenze des Wachstums", vom „Nullwachstum” usw. Natürlich nur für die „Peripherie", nicht aber für sich selbst.

Zweitens erhält er künstlich Marktelemente, indem er sie gewaltsam den auszubeutenden Ländern aufzwingt als Mittel, ihre Entwicklung aufzuhalten.

Drittens ordnet der Kapitalismus nach wie vor die Produktion von Sachen der Produktion von Mehrwert unter und hält erstere damit in den früheren qualitativen Grenzen, das heißt im Rahmen des linearen quantitativen Wachstums. Und das ist eine klare Sackgasse vom sozialen und ökologischen Standpunkt aus.

Schließlich viertens verhindert er die Entwicklung der wahren Freiheit und Selbständigkeit des Menschen. Er bremst die Entwicklung der Persönlichkeit als hauptsächlichem, und dem Wesen nach, einzigem Reichtum der Gesellschaft.

Also, der leninschen Logik folgend, kann man die „neue Weltordnung” als Endziel der Globalisierung das höchste Stadium des Imperialismus nennen. Im Vergleich zum klassischen Imperialismus besitzt er einige Besonderheiten. Diese Besonderheiten charakterisieren seine „genetische” Verbindung mit dem vorangehenden historischen Formen der Existenz des Kapitalismus und betonen gleichzeitig die neuen Züge.

Die Grundkennzeichen der „neuen Weltordnung", das heißt des Imperialismus der Epoche der Globalisation, kann man so formulieren:

  1. Endgültige Unterjochung des produktiven Industriekapitals durch das spekulative Finanzkapital, das sich die Möglichkeit der Selbstreproduktion unter Umgehung des Warenstadiums geschaffenen hat.

  2. Verwandlung der Marktverhältnisse in einen künstlich kultivierten Mechanismus der Gewährleistung des nichtäquivalenten Austauschs, als Verschleierung, hinter der sich außerökonomischer Zwang und die Ausplünderung ganzer Länder und Völker verbirgt.

  3. Die Festigung des neuen globalen Modells der „internationalen Arbeitsteilung", das die Ungerechtigkeit und die himmelschreiende soziale Ungleichheit in weltweitem Maßstab um ein Mehrfaches vertieft.

  4. Stürmisches Wachstum des politischen Einflusses der multinationalen Konzerne und der Gruppen des Finanzkapitals, die im System der internationalen Beziehungen ihre unbegrenzte Souveränität und den Status als selbständige Rechtssubjekte anstreben.

  5. Kontrollverlust der nationalen Regierungen über die weltwirtschaftlichen Entscheidungen. Revision der fundamentalen Normen des internationalen Rechts, mit dem Ziel der Beseitigung des Begriffes der staatlichen Souveränität und der Schaffung von Strukturen globaler Macht - der berüchtigten Weltregierung („One-World”-Forderung - Anm. d. Red.).

  6. Eine Informations- und Kulturexpansion als Form der Aggression und der Zerstörung der traditionellen Werte. Geistige Gleichschaltung auf niedrigstem, primitivstem Niveau.

  7. Parasitärer Charakter. Die Hauptvorteile aus der Einführung neuer Technologien und der Bündelung der Ressourcen nutzen die multinationalen Konzerne nur in ihrem eigenen Interesse; die übrige Welt zu unausweichlicher Armut und Erniedrigung verurteilend.

  8. Die Fäulnis und das qualitatives Ausbremsen des technischen Fortschritts.

In letzter Zeit sprechen einige russische marxistische Gelehrte davon, daß die moderne Epoche der Globalisierung die bekannte Prognose von K. Kautskys von der Möglichkeit des Eintritts des Kapitalismus in eine Phase des „Ultraimperialismus” bestätige, der, wie er schrieb, „an die Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international vereinigte Finanzkapital stelle". Dies könnte, dem Gedanken von Kautsky zufolge, „eine neue Ära der Hoffnungen und Erwartungen in den Grenzen des Kapitalismus” schaffen, zum Beispiel die Menschheit zu Frieden und Abrüstung führen.

Schon damals hat Lenin die völlige Haltlosigkeit solcher Hoffnungen gezeigt, jedoch hat er nicht geleugnet, daß, ausgehend von den allgemeinen Tendenzen, eine ultraimperialistische Phase möglich sei. „Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Entwicklung in die Richtung zu einem einzigen, ausnahmslos alle Unternehmungen und ausnahmslos alle Staaten verschlingenden Welttrust verläuft.” Dabei betonte er aber, „diese Entwicklung erfolgt unter solchen Umständen, in einem solchem Tempo, unter solchen Widersprüchen, Konflikten und Erschütterungen - keineswegs nur ökonomischen, sondern auch politischen, nationalen usw. usf. - daß notwendigerweise, bevor es zu einem Welttrust, zu einer ,ultraimperialistischen' Vereinigung der nationalen Finanzkapitale kommt, der Imperialismus unweigerlich bersten muß, daß der Kapitalismus in sein Gegenteil umschlagen wird".

Die Prognose hat sich bewahrheitet, wenn auch nicht ohne Widersprüche und Zickzack-Bewegungen.

Die jetzt beliebten Moderedereien über die Globalisierung als über eine „neue kapitalistische Revolution” sind unbegründet. Im Gegenteil, das Kapital ist bestrebt, um jeden Preis, durch jedes günstige Mittel, unter denen immer öfter die der Gewalt überwiegt, herangereifte Veränderungen, die vom gegenwärtigen Niveau der Entwicklung der Produktivkräfte diktiert werden, zu bremsen und zu verhüten. Es findet nur ein quantitatives Wachstum innerhalb der sozial-ökonomischen Rahmen und Bedingungen statt, die aber ihrem Wesen nach unverändert bleiben.

Die Beziehungen der Ausbeutung und alle sie begleitenden Widersprüche sind vom Kapitalismus nicht überwunden worden, sondern haben nur ihre Form verändert und sind auf eine neue Ebene übergegangen. Wenn man innerhalb der Gesellschaften der „goldenen Milliarde” mit einer gewissen Bedingtheit noch von einem Nachlassen sozial-klassenmäßiger Widersprüche sprechen kann, so ist auf internationaler Ebene der Fakt äußerster Verschärfung eben dieser Widersprüche vorhanden. Sie wurden auf die weltweite Ebene gehoben und teilen jetzt die Welt nach der Achse „reicher Norden und armer Süden” nicht weniger radikal, als sie früher das Proletariat von seinen Ausbeutern im Maßstab des einzeln genommenen Landes geteilt haben. Es hat keine Glättung der Widersprüche des Kapitalismus gegeben, sondern lediglich eine Globalisierung derselben.

Nur die „Verwandlung” des Imperialismus in den Sozialismus kann zu einem wirklich qualitativen Bruch führen. Nur unter solchen Bedungungen sind auch eine richtige technologische Revolution, ein wahrer Übergang zu postindustriellen Technologien möglich.

Notwendig ist ein grundlegender Wechsel des existierenden kapitalistischen Modells der Produktion und des Konsums, das Herausbilden einer prinzipiell neuen Ordnung, eines neuen Typs der Produktivkräfte der Menschheit, die Überwindung des Ideals des „unbegrenzten Konsumstrebens", das in Wirklichkeit ein Konsumterror ist.

Die Frage nach den konkreten Formen und den möglichen Triebkräften einer solchen Umwandlung - das ist unser Problem.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

III. DIE SOZIALISTISCHE ALTERNATIVE

1. Das Schicksal Rußlands ist das Schicksal der Welt

"Entweder die neue Weltordnung, die multikulturelle Diktatur, die vier Fünftel der Bevölkerung der Erde in einem ökonomischen und geistigen Gefängnis hält, oder die Umgestaltung nach sozialistischen Grundsätzen - das ist die Wahl - heißt es im Politischen Rechenschaftsbericht des ZK der KPRF an den VII.Parteitag. - Am Scheideweg dieser Wahl befindet sich heute Rußland. Wie auch zu Beginn des XX. Jahrhunderts, kreuzen sich die Widersprüche dieser Welt in seinem Schicksal in dramatischer Weise".

Lohnt es sich, darüber zu sprechen, daß ein einiges, starkes und eigenständiges Rußland im imperialistischen Schema der globalen Weltordnung keinen Platz hat? Rußland erwarten neue Prüfungen, Unglück und Unheil, und im Falle des Triumphes des Globalismus - das Verschwinden aus der historischen Arena, kulturelle Degradierung, geistige Entartung, demographische Katstrophe und staatlicher Zerfall.

Jenen, die das begreifen, schmerzt es, beobachten zu müssen, wie in den letzten Jahren das Land immer stärker in die Prozesse der „Krämerglobalisierung” hineingezogen wurde. Bis jetzt rettet uns vor ihren verderblichen Folgen der Vorrat an Festigkeit, der noch aus Sowjetzeiten erhalten geblieben ist. Aber er ist leider fast erschöpft. Es ist höchste Zeit, die Lage zu korrigieren, sonst könnten die Folgen der sinnlosen Politik des finsteren Jelzinjahrzehnts unumkehrbar werden.

In den nächsten Jahren steht ein tatsächlicher „Kampf der Welten” bevor, in dem die ureigene „russische Welt” - die Welt der Ideale und der Heiligtümer, die Welt des vielhundertjahre alten Geisteslebens und der nationalen Traditionen mit ihren erhabenen Geboten: „Selig sind die nach Wahrheit Gierigen und Wahrheitsuchenden", „Selig sind die Barmherzigen", „Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst” - der apokalyptischen Welt des kosmopolitischen sich in alles Einmischenden, liberalen Egozentrismus, der Welt der Allmacht des Geldes, der Bankprozentsätze, der Finanzpyramiden und Börsenspekulationen, deren Idol das Goldene Kalb ist, gegenüberstehen wird.

In letzter Zeit beginnt dies sogar bis zu unserer liberalen „Intelligenz” durchzudringen. Mit naivem Erstaunen eines „Institütchens", das angenommen hat, daß Kinder aus Küssen geboren werden, gesteht sie es auf den Seiten der „Nesawissima Gaseta” (Unabhängige Zeitung) als ihren Fehler ein: „Wir haben nicht verstanden, daß der Westen sich nur für die Funktionen des Kapitals interessiert, aber überhaupt nicht dafür, daß in Rußland eine zivilisierte Form der Gesellschaft heranwachse.” Und elegisch seufzt sie: „Unter den Bedingungen der Globalisierung ist die zivilisierende Mission des Kapitals, seine Verantwortung für die Schaffung eines zivilisierten Kapitalismus in den Gesellschaften der ganzen Welt schwächer geworden.” Letzteres muß man offensichtlich in dem Sinne verstehen, daß es irgendwann gesegnete Zeiten gegeben habe, in denen die Kinder aus Küssen geboren wurden, nun aber jetzt - es ist schrecklich, darüber zu sprechen. Was in diesen Seufzern überwiegt - liberale Borniertheit oder liberale Heuchelei - , das soll der Leser beurteilen.

Der Westen war niemals an etwas anderem interessiert als an den „Funktionen des Kapitals". Jeder Gegenstand, hierin eingeschlossen der Mensch, das Land, die Völker, die Kultur interessiert ihn nur als „Funktion des Kapitals", das heißt als Mittel des Wachstums des materiellen Wertes. Aber „Zivilisation” in ihrem liberal-bornierten Sinne - als Herrschaft von Humanität und Wohltäterei - war hier noch nie drin. Es gibt kein Verbrechen, das das Kapital nicht riskieren würde, und sei es unter der Furcht vor dem Galgen, wenn es ihm 300 Prozent Gewinn verspräche. Dies schrieb keineswegs K. Marx, wie viele denken, sondern T. J. Dunning, ein äußerst gemäßigter englischer Gewerkschaftsfunktionär des XIX. Jahrhunderts.

"Entweder Rußland wird in der ,Dritten Welt' versinken, wo es zum Zerfall und zum Verschwinden verurteilt ist, oder es wird auf sozialistischer Grundlage wiedergeboren werden, das ist heute die harte Wahl", - so konstatierte der VII. Parteitag der KPRF.

Diese Schlußfolgerung wird jedoch z.Z. noch nicht von allen gezogen. So kann man in patriotischen Kreisen hören, daß der Sozialismus als internationalistische Doktrin für Rußland unannehmbar sei. In extremer Form lauten die Vorbehalte so: „Sozialismus - das ist nur eine andere Abart des Mondialismus, der der nationalen und kulturellen Eigenständigkeit feindlich ist.” Es lohnt sich, sich damit aufmerksam zu befassen.

Wenn man sich rein formal und lediglich oberflächlich mit einem Vergleich der Doktrinen beschäftigt, so kann man tatsächlich zeigen, daß die Apologeten der imperialistischen Globalisierung, der „neuen Weltordnung", und die Anhänger der sozialistischen und kommunistischen Zukunft der Menschheit ähnliche Werte und Ideale predigen. In der Tat, in beiden Systemen nimmt die Annäherung der Völker und Nationen, das Verwischen der Staatsgrenzen einen wichtigen Platz ein.

Vereinfacht gesehen kann man wirklich sagen, daß sowohl die einen als auch die anderen sich letztlich auf die fundamentalen Tendenzen der Entwicklung der Produktivkräfte und die Weltökonomie orientieren, auf die wachsende Begrenztheit und Isolierung - die nationale, staatliche, kulturelle.

Dennoch gibt es zwischen dem imperialistischen Mondialismus und dem sozialistischen Internationalismus einen wesentlichen, prinzipiellen Unterschied. Weil der Mondialismus auf Allmacht des Kapitals aufbaut, aber der Internationalismus auf Allmacht der Arbeit.

Jede gesellschaftlich-ökonomische Entwicklung beweist ihre Überlegenheit über die vorangegangene dadurch, daß sie eine höhere Arbeitsproduktivität erreicht. Das ist zwar die Wahrheit, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Die Mission des Sozialismus liegt nicht einfach darin, höhere quantitative Kennziffern zu erstreben, sondern vor allem in der erhöhten, harmonischen Entwicklung des Menschen selbst, im Wechsel des Typs, des „Paradigmas” der gesellschaftlichen Entwicklungen, der Überprüfung der gewohnten Prioritäten, der Änderung des Richtung des ökonomischen und sozialen Fortschritts. Gerade in der Epoche der Globalisierung, die die Widersprüche des Kapitalismus bis auf das Niveau der Widersprüche zwischen Mensch und Natur führt, darunter auch mit seiner eigenen menschlichen Natur, wird dies besonders klar.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

2. Die neue Kraft

Die imperialistische Globalisierung hat die soziale Basis des Widerstandes gegen die Allmacht des Kapitals wesentlich erweitert. Man muß aber verstehen, die spezifischen Züge dieses Widerstandskraft zu erklären, von deren Bewußtheit und Organisiertheit dem Wesen nach das Schicksal des ganzen Planeten abhängt. Das ist erstens der moderne Arbeiter, oder breiter gesagt, die produktive Klasse. Zweitens sind das die nationalen Befreiungsbewegungen. Und drittens die Bewegungen, die sich für die Rettung der Kultur vor den Angriffen der Geistlosigkeit einsetzen.

Die Arbeiterklasse ändert sich in dem Maße, wie sich der Charakter der produktiven Arbeit ändert. In den Dokumenten unserer Partei wurden schon wiederholt die Grundtendenzen des Entstehens eines neuen Typs der produktiven Arbeit hervorgehoben. Im Verlauf des wissenschaftlich-technischen Fortschritts und mit der Erhöhung der Wissenschaftsintensität der Produktion, der Verstärkung ihrer Automatisierung, der Roboterisierung hängt das Schaffen materiellen Reichtums nicht mehr sosehr von der unmittelbaren Anwendung der menschlichen Arbeit und ihrer Dauer ab, als vielmehr von der Macht und den Maßstäben der durch die Arbeit organisierten und in Aktion gesetzten Ströme der Materie, der Energie und der Information; das heißt letztlich von der Stufe der wissenschaftlichen Beherrschung der Natur und der technologischen Prozesse durch die Gesellschaft und das Individuum. Die produktive Arbeit wird zu einer vorzugsweise intellektuellen Arbeit.

Deshalb beginnt die „Entwicklung des gesellschaftlichen Individuums” (K. Marx) zur wichtigsten Grundlage von Produktion und Reichtum zu werden. Dementsprechend ändert sich auch die Struktur der Investitionen. Zur wichtigsten Investition wird die Investition in die Menschen - in Erziehung und Bildung, in Wissenschaft und Kultur, in die soziale Sphäre und das Gesundheitswesen. Deshalb wird auch zum Maß des gesellschaftlichen Reichtums nicht mehr die Arbeitszeit und der während ihr geschaffene Tauschwert, sondern ihre Einsparung, das heißt die freie Zeit als Raum, der für die lebenslange und allseitige Entwicklung der Persönlichkeit notwendig ist.

Die Veränderung des Charakters der Arbeit führt zur unentwegten Erhöhung der Bedeutung ihrer schöpferischen Motive und Stimuli. Aus aufgezwungener Notwendigkeit oder Verpflichtung, die noch innerhalb des bürgerlichen Horizontes von der „protestantischen Ethik” gezeichnet ist, verwandelt sich die Arbeit allmählich in einen Selbstzweck. Sie gewinnt selbständigen Gebrauchswert als natürliche, dem Wesen des Menschen entsprechende Art und Weise der Existenz eines gesunden Organismus, als Prozeß der Entwicklung und Realisierung der schöpferischen Fähigkeiten der Persönlichkeit.

Mit der Veränderung des Charakters der Arbeit gehen unumkehrbar die Zeiten dahin, als für die Produktion der emsige Arbeiter - der Mensch als Schräubchen - erforderlich war. In den modernen, fortgeschrittenen Wirtschaftszweigen wächst unentwegt das spezifische Gewicht der geistigen Arbeit. Die wissenschaftliche Forschungstätigkeit, die Versuchs- und Konstruktionsarbeiten, das Erstellen von EDV-Programmen sind aus der Wirtschaft und dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken, sondern meistens der wichtigste Teil der Produktion. Die Reihen der Arbeiter der Hand werden immer mehr ergänzt durch die Vertreter der wissenschaftlichen und technischen Intelligenz. Auf dieser Grundlage bildet sich ein neuer fortgeschrittener Kern der Arbeiterklasse heraus, der sowohl die physische als auch die geistige produktive Arbeit in sich vereint. Physische und geistige produktive Arbeit werden durch die wissenschaftliche Organisation der Produktion und bewußte Disziplin, durch die modernen technologischen Prozesse, die eine hohe Stufe der Koordination der Arbeitstätigkeit, der ständigen Schöpferkraft, hohe Spezialausbildung und allgemeinkulturelle Entwicklung erfordern.

Die moderne fortgeschrittene Klasse - die der Träger des sozialen Fortschritts und der Wortführer der gesamtnationalen Interessen ist - das sind: Erstens die Produzenten materieller, hochtechnologischer und wissenschaftsintensiver Produkte, also Wissenschaftler, Konstrukteure, Technologen, Führungskrafte und Facharbeiter, in deren Tätigkeit die geistige Arbeit überwiegt. Zweitens die Produzenten von nichtmateriellem, von Programmen, die das Funktionieren der Produktions- und Informationssysteme und der sozialen Infrastruktur garantieren. Die hauptsächliche Produktivkraft der Tätigkeit dieser Gruppe von Werktätigen sind die Wissenschaft, wissenschaftliche Kenntnisse und eine hohe individuelle Entwicklung des Arbeiters selbst. Drittens alle jene, die die „Produktion” des Menschen selbst als Subjekt der Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens garantieren, also Erzieher, Lehrer, Hochschuldozenten, Ärzte, Produzenten von Dienstleistungen in der Sphäre der Freizeit usw. Heute werden eben durch ihre Arbeit die hauptsächlichen Produktionsinvestitionen realisiert - die Aufwendungen für den Menschen, in seine individuelle Entwicklung. Deswegen sind sie auch im vollen Sinne des Wortes produktive Arbeiter. Dem Wesen der Dinge nach formiert sich vor unseren Augen die neue Arbeiterklasse - die Arbeiterklasse des XXI. Jahrhunderts.

Selbstverständlich ist es bis dahin, da alle Schichten und Vertreter der Arbeiterklasse das Niveau ihrer fortgeschrittenen Abteilung erreicht haben werden, noch weit, aber eben nach ihnen muß man die wahre Kraft und die historischen Möglichkeiten der Arbeiterklasse insgesamt beurteilen.

Die weiteste Ausbreitung dieses führenden Kerns, der die Züge der Werktätigen der klassenlosen Gesellschaft in sich trägt, die Ergänzung ihrer Reihen durch immer neue und neue Kategorien von Werktätigen, die Entwicklung ihrer besten, grundlegenden Qualitäten, die allmähliche Ausbreitung über die ganze Gesellschaft, das wird der richtige Weg zur Überwindens der Klassenteilung sein.

In diesem führenden Kern sehen die Kommunisten ihre wichtigste gesellschaftliche Basis. An ihn wenden sich in erster Linie mit ihren Idealen, um durch sie das Bewußtsein und die Realisierung ihrer Klasseninteressen im nationalen und internationalen Maßstab zu fördern. In den Händen dieser gesellschaftlichen Avantgarde, so heißt es im Programm der KPRF, liegt das Schicksal nicht nur Rußlands, sondern auch das der ganzen menschlichen Zivilisation im XXI. Jahrhundert.

In den Wechselbeziehungen dieser neuen Klasse mit dem Kapital zeigt sich besonders akzentuiert die Tatsache, daß die Ausbeutung zwei Aspekte besitzt, einen materiellen und einen humanitären, geistigen. Die Globalisierung enthüllt den gewaltigen Flöz der geistigen Ausbeutung der Arbeit durch das Kapital. Nachdem die Werktätigen einen bestimmten Wohlstand gewonnen haben, wird klar, daß die geistige Verelendung eine nicht weniger reale Tatsache ist als die materielle. Die Verwandlung in ein Anhängsel des globalen Informationsnetzes ist nicht weniger verderblich für die Persönlichkeit als die Verwandlung in ein Anhängsel der Maschine. Noch schrecklicher und zerstörerischer für die Persönlichkeit ist die Verwandlung des Menschen in eine „Konsummaschine", in ein gehorsames Glied in der Kette des Umlaufs der Kapitalvermehrung „Geld - Ware - Geld". Hier herrscht das Kapital und der Mensch ist nur soweit von Bedeutung, wie man ihn als Glied der Kapitalvermehrung braucht.

Es werden gewaltige Anstrengungen unternommen, um vor den Menschen diese zweite Seite der Ausbeutung zu verheimlichen. Dazu hat man eine gigantische Maschinerie der raffinierten Programmierung des menschlichen Verhaltens aufgebaut, wie man sie eigentlich unter der Bezeichnung der psychologischen Kriegsführung kennt. An die Stelle der Erziehung von Persönlichkeiten tritt die Manipulation des Bewußtseins und der Bedürfnisse der Menschen mit Hilfe kommerzieller Reklame und „PR-Technologien". Anstelle einer guten Allgemeinbildung tritt eine eng berufsbezogene „Abrichtung", also das Heranziehen von Fachidioten, die dem vorgegebenen Schema eines politisch pflegeleichten „Einheitsmenschen” entsprechen sollen. Anstelle von Kunst und Kultur wird primitives, als Massenware herstellbares „Show-Business” gesetzt. Persönlichkeit, Kultur, Kunst und nationale Eigenarten werden durch einen „multikulti” Einheitsbrei ersetzt.

Dies ist der Informations- und Kulturimperialismus, die intellektuelle und geistige Gleichschaltung auf einem einheitlichem, primitivem Nenner. Auf dem Boden des Kapitalismus verwelkt die geistige Produktion und blüht dagegen alles Mögliche ihrer Surrogate auf - vom Okkultismus bis zu ähnlichen Dingen. Die Bedrohung der geistigen und schöpferischen Selbständigkeit, der Selbstbestimmung der Persönlichkeit erreicht massenhaften, weltumspanneden Charakter.

Eine neue Form in den Bemühungen des Kapitalismus die Weltherrschaft zu erringen und zu sichern, ist der Kampf gegen die nationalen Eigenarten der Völker, die man durch pflegeleichte „multikulturelle Einheitsmenschen” ersetzen möchte, der Kampf des Liberalismus gegen die historische Tradition, der Kampf einer Handvoll internatioler Finanzmagnaten gegen die Souveränität und Unabhängigkeit der Nationalstaaten. Noch in seinem Politischen Testament hat Lenin offen und direkt den Sieg des Sozialismus mit dem Sieg des nationalen Befreiungskampfes der unterjochten Völker verbunden.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

3. Erfahrungen des frühen Sozialismus

In der Morgenröte der Sowjetmacht hat Lenin wiederholt betont, daß man den „Sozialismus bei den Organisatoren der Konzerne (Managern) erlernen könne und müsse". Vom ökonomischen Standpunkt aus ist Sozialismus kapitalistisches Monopol, das dem Nutzen der ganzen Gesellschaft zugewandt ist, das sich unter ihrer Kontrolle befindet und aufgehört hat Kraft dessen kapitalistisch zu sein. Jedoch ist dies noch bei weitem nicht alles, sondern nur die elementare materielle Voraussetzung der neuen Gesellschaft. Denn jedes Monopol ist untrennbar mit Vereinheitlichung verbunden und birgt in sich die Möglichkeit der ökonomischen Stagnation, des sozialen Verfaulens und des politischen Totalitarismus.

Die Antiutopien von Orwell, Haxli, Samjatin und einer Fülle anderer weniger talentierter Autoren zeichnen keineswegs ein Bild des Sozialismus, sondern die bis ins Absurde überzeichneten Züge der Zukunft des staatsmonopolistischen Kapitalismus.

Leider haben in der realen Praxis des Aufbaus des Sozialismus durch eine Reihe historischer Verkettungen diese Züge eine nicht geringe Ausprägung erfahren. Jedoch in der Ideologie erhielt die Auffassung A. Bogdanows, eines der unversöhnlichsten Opponenten Lenins, breiten Raum, daß das „Idealmodell” des Sozialismus „ein großkapitalistischer Betrieb sei, speziell von der Seite seiner Arbeitstechnik betrachtet". Die offene Warnung Lenins, daß diese „Fabrik"-Disziplin, die, nachdem die Kapitalisten besiegt, die Ausbeuter gestürzt und die Herrschaft des Proletariat auf die ganze Gesellschaft ausdehnt waren, in keiner Weise unserem Ideal und Endziel entsprach, sondern nur eine kleine Stufe in der weiteren Entwicklung sein durfte, war ohne die gebührende Aufmerksamkeit geblieben.

Im Endergebnis hat dies alles zu einer immer größeren Blockierung der materiellen und moralischen Hauptgrundlagen des Sozialismus geführt, der gesellschaftlichen Energie und der Initiative der Werktätigen, einer freien selbsttätigen Organisation des Volkes, zum Anwachsen der Elemente ökonomischer und politischer Entfremdung.

Als die Aufgaben des unmittelbaren Überlebens des Landes erfolgreich gelöst waren und die Aufgabe gestellt war, den Sozialismus auf seiner eigenen Basis zu entwickeln, wurde noch eine weitere grobe Vereinfachung der sozialistischen Idee zugelassen.

Die prinzipiell richtige Losung „maximale Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Werktätigen” verblieb auf dem Niveau einer abstrakten, außerhistorischen Darstellung über die menschlichen Bedürfnisse und ihrer Verbindung mit der Produktionsweise. Aus dem Gesichtsfeld fiel jener Umstand heraus, daß die Mehrheit der Bedürfnisse dem Menschen nicht „von der Natur” gegeben sind, sondern einen gesellschaftlichen Charakter tragen, der vom Entwicklungniveau seiner Fähigkeiten bestimmt wird und ihm zur Erfüllung seiner Bedürfnisse in der Umwelt dienen. Wenn man diese Überlegungen außer acht läßt, würde das kommunistische Prinzip „jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen” mit dem bürgerlichen Ideal des „Superkonsums” zusammenfallen und damit völlig sinnlos werden.

Gesellschaftlicher Reichtum und Fortschritt waren mit der bürgerlichen Form der „gewaltigen Anhäufung von Waren” und ihrer grenzenlosen Vermehrung identifiziert worden. Deshalb wurde das ganze Pathos des 1961 beschlossenen III. Programms der KPdSU auf die Aufgabe einer dem Wesen nach unkritischen Kopierung des Konsums der westlichen Gesellschaft und auf eben dieselbe produktionstechnplogische Basis zurückgeführt. Einerseits hat das die sozialistische Ökonomie zur Rolle eines Verlierers verurteilt, was man auch hätte wissen müssen. Andererseits hat dies zwei in dem Programm geforderten Aufgaben einer adäquaten ökonomischen Grundlage beraubt, nämlich die Gestaltung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse und die Erziehung der neuen Menschen; diese Augaben wurden dadurch in zutiefst „idelogischer” Art verwandelt und waren deshalb nicht lösbar.

W. I. Lenin ist niemals beim „Erlernen des Sozialismus bei den Organisatoren der Konzerne” (Managern) stehengeblieben. Sondern er hat ständig betont und nachgewiesen, daß man den Kommunismus überhaupt nicht „bei den Organisatoren der Konzerne” (Managern) erlernen muß, sondern nur auf der Grundlage der Erfahrungen der gesamten Weltkultur. Indem sie sich entwickelt, schafft sie höhere und reichere Formen des menschlichen Zusammenlebens als die „Konsumgesellschaft und überwindet die immerwährende Spießigkeit der bürgerlichen Lebensweise.

Wenn wir tatsächlich den Kommunismus auf den Erfahrungen der ganzen Weltkultur, den höchsten Errungenschaften der Wissenschaft lernen wollen, so müssen wir eine Reihe neuer Faktoren und Tendenzen durchdenken, die sich in der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts entwickelt haben. Die leninsche Definition des Imperialismus als höchstes und letztes Stadium des Kapitalismus bleibt unbestreitbar. Aber die gegenwärtige Situation wird mit diesen leninschen Charakteristiken nicht mehr erschöpfend behandelt. Die Zeit fordert gebieterisch eine schöpfere Weiterentwicklung der Theorie. Die Schaffung einer efffektiven wissenschaftlichen Methodologie für die Einschätzung des gegenwärtigen Zustandes der Menschheit.

Der Höhenflug und das Scheitern des Weltsystems des Sozialismus, die Tarnung der Klassenwidersprüche innerhalb der entwickelten kapitalistischen Staaten, die Umverteilung der sozialen Spannung innerhalb der Völker auf die geopolitische Achse „Nord-Süd", das überall hervorbrechende nationale und religiöse Selbstbewußtsein der Völker, alle diese Fakten fordern gebieterisch eine wissenschaftliche Erklärung und dementsprechend eine Erneuerung unserer Idelogie. Wir besitzen nicht das Recht, von neuem in der Falle jenes dogmatischen Herangehens zu geraten, das schon einmal unsere Partei fast zugrunde gerichtet hat, die sich angesichts der dramatischen Veränderungen der modernen Gschichte als ideologisch machtlos erwies. Das bedeutet, wenn wir in der sich ungestüm verändernden Welt des XXI. Jahrhunderts überleben wollen, dann müssen wir das Erbe des Marxismus-Leninsmus schöferisch weiterentwickeln. So ist zum Beispiel heute schon völlig offensichtlich, daß Rußland die Architekten der „neuen Weltordnung” nicht befriedigt hat und nicht befriedigt. Nicht nur als Hauptträger des dem Kapitalismus alternativen sozialistischen Weges der Entwicklung, sondern noch umfassender, als alte eigenständige Zivilisation mit ihrem selbständigen System geistiger, moralischer, gesellschaftlicher und staatlich-politischer Werte. Daß die westlichen Strategen das russische Volk mit seiner tausendjährigen Geschichte, mit seinen kostbaren nationalen Qualitäten des Zusammenhalts ("Sobornost") und der daraus erwachsenden nationalen Stärke ("Dershawnost"), mit seinem tiefen Glauben, seinem unausrottbaren Altruismus und seiner entschiedenen Absagen an die Köder des bürgerlichen liberal-demokratischen „Paradieses” für eines der Haupthindernisse auf dem Wege der Globalisierung halten.

Die heutige Strategie des Westens zur Errringung der Weltherrschaft stützt sich auf eine geopolitische Doktrin, die begründet ist auf dem feindlichen Gegenüberstehen des „ozeanischen Imperiums” der USA und des atlantischen Großraums der „Kontinentalmacht Rußland", die nach wie vor das eurasische Herz der Welt kontrolliert.

Aber das bedeutet, daß es für uns notwendig ist, die leninsche Methodik der Analyse der „neuen Weltordnung” um zwei wichtige Herangehensweisen zu bereichern, die schon in den letzten Jahren ihre Effektivität gezeigt haben: die geopolitische Herangehensweise und das Herangehen in bezug auf die Zivilisation. Eigentlich hat sie Lenin auch selber angewandt. So sind zum Beispiel seine weit bekannten Worte, daß der „Imperialismus zur Verstärkung des nationalen Jochs führen wird und das Streben der Monopole zur Herrschaft” begleitet wird „von der Ausbeutung einer immer größeren Zahl kleiner Nationen durch eine kleine Handvoll der reichsten Nationen” völlig übereinstimmend mit dem gegenwärtigen Bild der Aggressiven Expansion der Länder der „goldenen Milliarde", die sich auf Kosten der ganzen übrigen Menschheit bereichern. Oder mit anderen Worten gesagt, der Expansion des Westens, die mit allen Mitteln den übrigen Völkern und Zivilisationen der Erde ihr egoistisches Modell der neuen globalen Weltordnung aufzwingt.

Somit müssen die Begriffe „Zivilisation", „Geopolitik", „nationale Eigenständigkeit", „traditionelle Werte", „religiöse Heiligtümer", „kulturhistorischer Typ", „Sobornost", „Dershawnost” und viele andere für uns ebenso gewohnt und unbestritten werden wie die klassischen Begriffe „Produktivkräfte", „Klassenkampf” oder „gesellschaftlich-ökonomische Formation". Nur dann wird es uns möglich werden, eine ernste wissenschaftlich-methodoligische Basis zu schaffen, die den Realitäten der modernen Welt entspricht und geeignet ist, zu einer mächtigen Waffe der Vorbereitung einer Komplexstrategie der Wiedergeburt eines Großen Rußlands zu werden.

Dann wird klar werden, daß am Ende des XX. Jahrhunderts nicht der Sozialismus als solcher zusammengebrochen ist, sondern der Zerfall einer seiner konkret-historischen Formen, die sich als unnötig monopolisierte und dogmatisierte und deshalb als zur Lösung der Aufgaben unter den Bedingungen ungestümer Weltveränderungen schlecht geeignete erwiesen hat. Dann wird auch klar werden, daß neue, effektivere Formen des Sozialismus schon vor unseren Augen heranreifen, ungeachtet des wütenden Widerstandes unserer Unterdrücker.

Kurzum, eben die Synthese der leninschen Methodologie und des Erbes der besten vaterländischen Denker muß zur Grundlage eines modernen russischen Sozialismus und zum Unterpfand der Wiedergeburt unseres geliebten Rußlands - einer sozialistischen Großmacht - werden.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

4. Wege des Durchbruchs

Die Initiative wird der Sozialismus nur dann zurückgewinnen können, wenn es ihm gelingt, die Produktivkräfte auf einem qualitativ neuem Weg zu entfalten, der sich auf planmäßige Entwicklung der neuesten Tendenzen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts stützt. Im Programm der KPRF hat dieser Weg die Bezeichnung „optimale sozialistische Entwicklung” erhalten.

Als führendes methodologisches Prinzip zur Analyse der gesehenen Veränderungen hat die Konzeption der technologischen Produktionsweise gedient, die recht ausführlich von K. Marx im „Kapital", besonders im vorbereitenden Manuskript dazu, ausgearbeitet worden ist, die aber lange Zeit von Forschern kaum beachtet wurde. Jede gesellschaftlich-ökonomische Formation setzt sich nur dann endgültig durch, wenn sie solche Produktivkräfte, solche Arbeitsmittel schafft, dank deren Entwicklung die für sie charakteristischen Produktionsverhältnisse - wie Marx schrieb - nicht nur zur sozialen, sondern auch zur technologischen Wahrheit werden, das heißt, wenn sie eine adäquate materielle produktionstechnologische Grundlage erhalten. Die Hauptfrage liegt folglich darin, auf welcher technologischen Basis wird sich der Sozialismus entwickeln, und ob eine solche Basis heute geschaffen werden kann. Das Programm der KPRF behauptet, daß eben das Letztere in der Gegenwart geschieht.

Die gegenwärtige globale Situation stellt die Menschheit vor die Aufgabe, eine gerechte und harmonische Entwicklung zu garantieren und den vergeudenden Charakter der industriellen Zivilisation zu überwinden. Das gegenwärtig praktizierte Prinzip der rücksichtslosen Ausbeutung und Verschwendung der natürlichen Umwelt, der materiellen Ressourcen und der Arbeit muß verlassen und zum Prinzip der allgemeinen Einsparung derselben übergegangen werden. Die technische Entwicklung bietet die Möglichkeit zu einer solchen Wende, die auch als Übergang von der industriellen zu einer postindustriellen Technologie bezeichnet wird.

Jedoch treten die sich vollziehenden Veränderungen in den Wechselbeziehungen zwischen den materiellen und den Persönlichkeitsfaktoren der Produktion und der Umstand, das die Versorgung des Menschen wieder (wie in der Subsistenzwirtschaft - Anm. d. Red.) als Hauptziel in den Vordergrund der Produktion tritt, in einen tiefen Widerspruch zur kapitalistischen Form des Fortschritts, was eine qualitative Umgestaltung der jetzt herrschenden Formen der Produktion, der Verteilung und des Verbrauchs erfordert. Der durch die künstliche Bedarfsweckung zum Zwecke der Kapitalvermehrung ganz bewußt und gezielt hervorgerufene Konsumrausch, der soziale Ungerechtigkeiten hervorruft, für die Natur verheerend wirkt und die Persönlichkeit der Menschen zerstört, muß durch die normale Bedarfsbefriedigung und die allseitige Entwicklung der Persönlichkeit ersetzt werden.

Auch die natürlichen ökologischen Begrenzungen fordern von der Gesellschaft eine Strategie der rationellen Ökonomie, die die Senkung des Individualverbrauchs von materiellen Ressourcen und Energie pro Kopf der Bevölkerung ermöglicht. Dies aber erfordert seinerseits unvermeidlich eine verstärkte Bereitstellung öffentlicher Güter (wie z.B. eine Einschränkung des Individualverkehrs eine größere Anzahl öffentlicher Verkehrsmittel erfordert. - Anm. d. Red.). Denn wir meinen, daß die Gesellschaft verpflichtet ist, jedem ihrer Mitglieder sowohl ein stabiles und menschenwürdiges Niveau des individuellen Konsums und persönlichen Komfort als auch ein sich ständig erhöhendes, immer vielseitigeres Niveau des Konsums in der gesellschaftlichen Lebenssphäre zu garantieren. Die Lösung einer solchen Aufgabe setzt eine tiefgehende Rekonstruktion der ganzen Lebensinfrastruktur voraus; das Umgestalten der Systeme des öffentlichen Verkehrs, der Nachrichtenverbindungen, der Information, des Gesundheitswesens und der Ernährung, die Schaffung eines dichten Netzes von Bildungszentren, Zentren der künstlerischen Betätigung und der Erholung, von Klubs, Theatern, Parks, Stadionanlagen, Museen, Bibliotheken usw.

In unserem Programm wird der Versuch unternommen, von der Analyse der gegenwärtigen Tendenzen der Entwicklung von Wissenschaft und Technik ausgehend, einige allgemeine Konturen der optimalen sozialistischen Entwicklung der postindustriellen technologischen Grundlagen der Gesellschaft zu zeichnen.

Die grundsätzliche Veränderung muß in den gegenseitigen Beziehungen von Produktion und Natur geschehen, was es uns erlauben wird, viele ökologische Widersprüche und Begrenzungen zu überwinden. Unsere Aufgabe muß darin bestehen, daß wir die heute getrennt ablaufenden Prozesse der Produktion und der Regeneration unserer natürlichen Umwelt wieder zu einem einheitlichen Prozeß zusammenführen, der sich organisch in den Kreislauf der lebendigen und der leblosen Natur einfügt (dem der Ackerbau am nächsten steht).Es muß zu einer radikalen Rückbesinnung auf den Sinn der Arbeitstätigkeit des Menschen kommen. Wenn bis jetzt die Natur als scheinbar ewige und unerschöpfliche Grundlage der Arbeit diente (industrieller Typ der Technologie), so muß die Arbeit sich jetzt umgekehrt in die Grundlage der Erhaltung und Reproduktion der natürlichen Umwelt verwandeln (postindustrieller Typ der Technologie).

Als wichtigstes Kriterium für die Effektivität der Produktion muß die Sicherheit als komplexe Eigenschaft des Mensch-Maschine-Systems in der Einheit seiner technischen, ökologischen, ergonomischen, sozialpolitischen und kulturell-moralischen Aspekte gelten.

Die Fließbandserienproduktion wird den Platz einer elastischen, automatisierten Produktion überlassen, wodurch die Möglichkeit ihrer maximalen Individualisierung, der Ausstoß von Artikeln auf Bestellung, dem konkretem Bedarf entsprechend, erreicht wird.

Es erhöht sich die Ressource der technischen Systeme dadurch, daß man die Möglichkeit ihrer kontinuierlichen Modernisierung schon bei ihrer Projektierung geschaffen hat. Das erlaubt das große Problem der „geplanten” Veraltung zu lösen und eine bedeutende Einsparung der Produktionsausgaben zu erreichen.

Auf der Grundlage der Vervollkommnung der Verkehrs- und Telekommunikationssysteme wird die rationelle Dezentralisierung der Produktionsstätten und die Deurbanisierung des menschlichen Wohnmilieus erreicht werden.

Besondere „Tätigkeitsfelder” des technologischen Durchbruchs werden sein:

Der technologische Fortschritt fällt in seiner sozial-ökonomischem Dimension mit den Prozessen der realen Vergesellschaftung der Arbeit zusammen, das heißt, ihres zunehmend sozialeren Charakters, der wachsenden Verknüpfungen unterschiedlicher Zweige und Sektoren der Produktion und ihrer erhöhten Produktivität. Vergesellschaftung der Arbeit - das ist die wichtigste materielle Grundlage für den unvermeidlichen Anbruch des Sozialismus, der Überwindung des Privateigentums und der Marktanarchie auf der Grundlage der planmäßigen Regulierung der Produktion und der Unterordnung der Arbeit unter das Allgemeinwohl des Volkes, die globalen Ziele und die Kontrolle der Gesellschaft.

Die politischen Umgestaltungen im Interesse der Werktätigen, das Entstehen ihrer Staatsmacht und die Rückkehr des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln beschleunigen diesen Prozeß und verleihen ihm einen bewußten und planmäßigen Charakter. Zugleich beweisen die historischen Erfahrungen, daß die ungleichmäßige und vielgestaltige Entwicklung des technologischen Fortschritts und die sich hieraus unvermeidlich ergebenden vielfältigen Formen der Technologie auch das Vorhandensein einer ökonomischen Vielfalt mit verschiedenen Eigentumsformen bedingt: gesellschaftliches, individuelles, und auf einigen Ebenen auch Privateigentum und ihre Konkurrenz untereinander auf dem Boden der Ware-Geld-Beziehungen; und das für eine genügend lange Periode. Für den frühen Sozialismus war das Streben nach formal-juristischer Vergesellschaftlichung (Verstaatlichung) auch mangelhaft dafür gereifter Sektoren der Volkswirtschaft charakteristisch. Das kann auf die ökonomische und soziale Entwicklung nicht weniger negativen Einfluß ausüben als die künstliche Erhaltung des Privateigentums in jenen Zweigen, wo sie schon organisatorisch und technologisch überlebt sind.

Dies muß uns dazu veranlassen, die traditionellen Vorstellungen vom schnellen Übergang zum „voll", entwickelten Sozialismus zu überprüfen. Die stabile Entwicklung der Wirtschaft erfordert, daß das Niveau der juristischen Vergesellschaftung der Produktion dem Niveau ihrer organisatorisch-technologischen Vergesellschaftlichung entspricht. Sie bilden zwei aufeinanderzulaufende Prozesse und fordern vom Staat die Aufrechterhaltung ihres vernünftigen Gleichgewichts.

Jedoch die entscheidende Rolle beim Durchbruch zu postindustriellen Technologien und zu einer Gesellschaft der stabilen Entwicklung wird der hochtechnologische und wissenschaftsintensive vergesellschaftlichte Sektor der Produktion spielen, der planmäßig von einem Staat geleitet wird, in dem die Macht der werktätigen Mehrheit des Volkes gehören wird.

* * *
 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 

In dieser Arbeit haben wir vorzugsweise technisch-ökonomische und sozial-klassenmäßige Aspekte jener Alternative behandelt, die der Sozialismus der imperialistischen Globalisierung entgegenstellen kann und muß. Die Problematik ist selbstverständlich breiter. Sie berührt praktisch alle Seiten der Beziehungen zwischen den Staaten, Völkern, Nationen und Zivilisationen. Wir werden uns noch viel intensiver damit beschäftigen und auch neue methodologische Herangehensweisen zulassen müssen.

Aber die wichtigste Erkenntnis ist unserer Ansicht nach richtig. Sie besteht darin, daß sich die Menschheit nicht aus irgendeiner guten oder schlechten Absicht, sondern aus objektiven Gegebenheiten heraus unentwegt zu einer immer engeren und allseitigeren Einheit hinbewegt. Das ist eine offensichtliche, unbestrittene Tatsache, die wir positiv einschätzen. Alle Versuche, diese Bewegung zurückzudrehen, wieder den Isolationismus zum Leben zu erwecken, muß als reaktionär anerkannt werden. Die Lösung muß man nicht im Rückwärts, sondern im Vorwärts suchen. Jedoch für das Schicksal der Menschheit, für das Schicksal der ganzen Art des „homo sapiens” ist es bei weitem nicht gleichgültig, auf welchem Wege und zu welcher Einheit sie schreitet. Schreitet sie zur weiteren Unterordnung der Arbeit unter das Kapital oder zur befreiten Arbeit, befreit vom Joch des Kapitals, zur Verwandlung der Arbeit in ein natürliches Lebensbedürfnis?

Schreitet sie zur Einheit in Vielfalt, zur Assoziation, „in der die freie Entwicklung eines Jeden die Bedingung ist für die Entwicklung Aller ist”, oder zur Einheit der Einförmigkeit, zur Weltkaserne, in der den Menschen und die Menschheit die Macht des Kapitals jagt? Schreitet sie zur Errichtung der oligarchischen Macht über die Welt, der Macht eines engen Kreises von Personen oder zur demokratischen Miteinanderarbeit und zur Zusammenarbeit souveräner Länder und Völker?

Eben hier auf dem Boden dieser allgemeinen und zutiefst philosophischen Fragen, entfaltet sich der weltweite sozial-ökonomische, politische und geistige Kampf. Und sein Ausgang ist bei weitem noch nicht entschieden. Er wird vom Zusammenschluß der progressiven Kräfte auf der ganzen Erde abhängen.

 Zurück zur Inhaltsangabe
 
 
Dieses ist eine vollständige Übersetzung des in den Ausgaben der Prawda vom 23.3. bis 29.3.2001 erschienenen Textes.
 
Copyright © by Gerhard Noack
Alle Rechte vorbehalten.

Dieses ist ein Artikel der
Weltnetzzeitschrift „Der Lotse”